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Tod in Blau

Tod in Blau

Titel: Tod in Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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adoptiert werden?«
    Sie schaute ihn ein wenig
     bedauernd an. »Leider viel zu selten. Wir haben zumeist ältere
     Kinder und Halbwüchsige, die sehr schwer zu vermitteln sind. Wenn Sie
     bedenken, was viele dieser Kinder in ihrem kurzen Leben
     schon durchgemacht haben, verwundert es nicht, dass niemand sie aufnehmen
     möchte. Armut, Obdachlosigkeit, Krankheit, Misshandlung, Unzucht. Mit
     ihnen ist es wie mit den Katzen, da wollen die Leute auch am liebsten die
     niedlichen Jungtiere haben.« Der Ausdruck in ihren Augen strafte die
     abgebrühten Worte Lügen. Wenn sie den ganzen Tag mit Kindern zu
     tun hat, die eigentlich niemand haben will, musste sie sich wohl einen
     gewissen Schutzschild zulegen, dachte Walther.
    »Ich möchte
     wissen, ob sich in letzter Zeit eine Dame bei Ihnen gemeldet hat, die ein
     Kind aufnehmen möchte.«
    Sie nickte sofort. »Vor
     kurzem war tatsächlich jemand hier. Sie hat sogar schon mit einem
     kleinen Mädchen gesprochen.«
    Walther beugte sich gespannt
     vor. »Wie hieß die Frau?«
    »Augenblick, ich kann
     es Ihnen genau sagen.« Fräulein Müller holte ein
     Registerbuch aus der Schreibtischschublade und schlug es auf. »Ja,
     hier steht es. 21. November 1922, nachmittags um vier. Eine Frau Wegner,
     die ein Kind zu adoptieren wünscht. Sie gab an, es müsse kein Säugling
     sein, ein Kind bis fünf Jahre sei ihr durchaus genehm. Ich bin mit
     ihr durch die Spielzimmer gegangen, damit sie sich die Kinder einmal
     anschauen kann. Unsere fünfjährige Adele kam zu ihr gelaufen und
     hat sie etwas gefragt. Ich konnte spüren, dass sie die Kleine sofort
     ins Herz geschlossen hat.« Sie blickte hoch und fragte besorgt:
     »Stimmt etwas nicht mit dieser Frau?«
    Walther schüttelte den
     Kopf. »Das kann ich noch nicht sagen. Erwähnte sie in diesem
     Gespräch auch ihren Mann?«
    »In der Tat. Ich fragte
     natürlich, ob sie verheiratet sei, was sie bejahte. Dann erkundigte
     ich mich, weshalb ihr Mann nicht mitgekommen sei, eine derartige
     Entscheidung müsse man doch gemeinsam treffen. Worauf sie erklärte,
     er sei verhindert, daher wolle sie sich schon einmal allein umsehen. Ich
     habe mir nichts dabei gedacht.«
    »Das mussten Sie auch
     nicht, Frau Müller. Die Anfrage war absolut legitim, und es ist
     durchaus denkbar, dass meine Ermittlungen nichts ergeben. Eines würde
     mich aber interessieren: Haben Sie Frau Wegner gesagt, dass sie für
     eine Adoption die Zustimmung ihres Ehemannes benötigt?«
    »Selbstverständlich.«
     Frau Müller klappte das Registerbuch zu und verschränkte die Hände
     darüber. »Darf ich fragen, worum es eigentlich geht? Ich bin für
     diese Kinder verantwortlich. Sie sind schon oft enttäuscht worden.«
    Walther stand auf und sagte
     bedauernd: »Leider handelt es sich um eine laufende Ermittlung. Ich
     gebe Ihnen aber Bescheid, ob Frau Wegner vertrauenswürdig ist.«
    »Vielen Dank. Es geht
     um die Zukunft eines Kindes, da muss alles seine Richtigkeit haben.«
    Wie recht sie damit hatte.
    *
    Das Haus war grau und
     unansehnlich, es schien zu erbeben, wenn eine Straßenbahn
     vorbeiratterte. Selbst um diese Zeit drang kein Tageslicht in die
     verqualmte Kellerkneipe in der Weinmeisterstraße. Leo Wechsler war
     vom Präsidium aus zu Fuß gegangen, wobei ihm von dem strammen
     Marsch ganz schön warm geworden war. Er stieg die drei Stufen zum
     Eingang hinunter, wo ihm ein warmer, abgestandener Dunst aus Bier und
     billigem Tabak entgegenschlug. Er nahm den Schal ab und knöpfte den
     Mantel auf, bevor er sich umsah. Der Wirt stand in einer Ecke und tätschelte
     eine jugendliche Prostituierte, deren Kleid mehr enthüllte als
     verbarg. Er schien den neuen Gast gar nicht zu bemerken.
    Leo war auch gar nicht an ihm
     interessiert. Er ließ den Blick durch den verwinkelten Raum
     schweifen, der von einigen Funzeln notdürftig erhellt wurde. Die
     Kneipe war verlassen, nur vor einer Nische drängten sich zahlreiche
     Menschen. Stimmengewirr war zu hören, auch Schimpfworte, jemand
     schubste, ein anderer trat. Leo rutschte auf die Sitzbank der
     Nachbarnische und schaute in aller Ruhe über die Trennwand zu, wie Adalbert Kreutzer, in
     diesen Kreisen nur als Glücksrad-Adi bekannt, seinem Gewerbe
     nachging.
    Vor sich auf dem Tisch hatte
     er eine dunkelblaue Wachstuchdecke ausgebreitet, auf die er mit Kreide
     Quadrate gezeichnet hatte. Jedes war mit einer bunten Zahl gekennzeichnet.
     Daneben lag ein kleines Holzrad, ebenfalls mit Zahlen

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