Tod in Blau
zum zweiten Mal. Sein Kollege schien ihm
nicht richtig zuzuhören, seit er von Bruno Schneiders kriminellen
Umtrieben erfahren hatte. »Verdammt noch mal, ich weiß, dass
du Probleme zu Hause hast, aber die haben andere auch.« Die Worte
waren ihm herausgerutscht, und er bereute sie sofort.
Leo sah ihn an, wollte etwas
sagen, schaute weg und stand auf. »Entschuldige, Robert, du hast natürlich
recht. Nur hatte ich gerade gehofft, endlich zur Ruhe zu kommen. Ilse ist
so glücklich … und ich war am Samstagabend mit Clara Bleibtreu
aus. Auf einmal hatte ich das Gefühl, Ilse und ich könnten beide
etwas Neues beginnen.« Er verschwieg allerdings, dass er Claras
Ex-Mann begegnet war, schob die Hände in die Tasche und blieb, den Rücken
zu Robert gewandt, vor dem Bild stehen, das er bei Elisa Reichwein gekauft
hatte.
»Wie soll ich ihr von
Clara erzählen, wenn ich gleichzeitig weiß, dass man ihren Freund
demnächst verhaften wird?« Leo ballte die Faust, als wollte er
der Wand einen Schlag versetzen, beherrschte sich aber und wandte sich zu
Robert um. Sein Gesicht verriet nichts, nur die Narbe an seiner Schläfe
trat deutlicher hervor als sonst. »Gut, wir werden Frau Wegner
vorladen. Aber zuerst brauchen wir weitere Beweise: Für das, was wir
bis jetzt haben, stellt uns kein Richter der Welt einen Haftbefehl aus.
Rede noch mal mit ihr. Wenn sie dir nicht überzeugend vorkommt,
bringst du sie mit.«
»Du bist nicht dabei?«
Leo schüttelte den Kopf.
»Ich habe Stahnke, Berns und Glücksrad-Adi auf von Mühl
und seine Gesellschaft angesetzt, ist doch eine nette Mischung. Du kümmerst
dich um die Witwe. Und ich muss noch mal zu diesem Jungen, der lässt
mir keine Ruhe.«
Paul Görlich war ihm in
den letzten Tagen nicht aus dem Kopf gegangen. Leo hatte so gut wie nichts
von ihm erfahren und spürte, dass der Junge sich vor etwas fürchtete.
Zum einen vor seinem Vater, so viel stand fest. Aber es konnte auch mehr
dahinterstecken.
Walther zögerte noch.
»Leo, ich dachte nur, du kannst so gut mit Menschen umgehen, besser
als ich. Solche Verhöre liegen mir nicht.«
Sein Freund sah ihn ein wenig
ungehalten an. »Das musst du auch lernen, ich kann nicht überall
sein.« Mit diesen Worten griff er nach seinem Mantel und verließ
das Büro. Walther schaute ihm mit einer Mischung aus Ärger und
Bedauern nach.
*
Dr. Magda Schott saß in
ihrer Praxis und ging die Buchhaltung durch, als es zaghaft an der Tür
klopfte. Es kam häufiger vor, dass um diese Zeit noch Patienten
erschienen. Solange Licht in der Praxis brannte, musste sie zur Verfügung
stehen, da ließen die Leute nicht mit sich reden. Sie stand auf und
drückte mit einem leisen Stöhnen die Hände
ins Kreuz. Wenn sie wie heute lange gesessen hatte, spürte sie ihre
zweiundfünfzig Jahre.
Vor der Tür stand der
Junge aus der Nachbarschaft, der öfter Medizin für seinen Bruder
holte. Paul Görlich, so hieß er. Er blickte angestrengt auf
seine Füße und versuchte, das Loch im einen Schuh mit dem
anderen zu verdecken. Seine Hände, die aus den zu kurzen Jackenärmeln
lugten, waren blaugefroren.
»Ist dein Bruder wieder
krank?«
Kopfschütteln. Sie
wollte eigentlich Feierabend machen, zu Hause erwartete sie noch Besuch,
aber angesichts von Pauls erbarmungswürdiger Miene wurde sie weich.
»Ich wusste nicht, zu
wem ich gehen soll.«
»Komm doch herein.«
Er trat ein, immer noch mit
gesenktem Kopf. Magda Schott bot ihm den Patientenstuhl vor ihrem
Schreibtisch an und setzte sich dahinter. Er wollte ihr etwas sagen, das
spürte sie, doch er schien es nicht über die Lippen zu bringen.
Dann gab er sich einen Ruck, beugte sich vor und fragte mit leiser Stimme:
»Kannst du machen, dass der Mann weggeht?«
Verblüfft schaute sie
ihn an und glaubte schon, sie hätte sich verhört. »Wer
soll weggehen?«
»Der Mann.«
»Welcher Mann denn?«
»Er ist immer da, auch
wenn ich ihn nicht sehe. In jeder Einfahrt, hinter Litfaßsäulen,
in den Läden, im Hof, immer.«
Magda spürte, wie sie
ein kalter Schauer überlief. So ungereimt die Worte auch klangen, sie
wirkten unheimlich.
»Dagegen kann ich
nichts machen. Du solltest mit deinen Eltern sprechen oder mit der
Polizei.«
»Die hören mir
nicht zu.«
Die Arztin griff über
den Tisch nach seiner Hand. »Hör mal, Paul, ich weiß
nicht genau, wovon du da redest,
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