Tod in Blau
nach Kohl, Katzenpisse und muffiger Wäsche,
dass ihm beinahe übel wurde. Er empfand einen körperlichen
Widerwillen bei der Vorstellung, erneut Paul Görlichs Vater zu
begegnen. Eine betrunkene Frau taumelte ihm entgegen und wäre
gefallen, wenn er nicht nach ihrem Arm gegriffen hätte. Sie wankte
weiter, ohne ihn anzusehen, während ihr ein kleines Mädchen vom
Treppenabsatz aus nachblickte.
Leo musste schlucken. Sooft
er auch in diesem Milieu verkehrte, gewöhnen würde er sich nie
daran. Er konnte einfach nicht hinnehmen, dass Menschen in solchem Elend
lebten, während die von Mühls dieser Welt allein in riesigen Häusern
mit Heizung, trockenen Wänden und eleganten Möbeln residierten.
Doch er schob diese Gedanken weg. Sie würden ihm bei seinen
Ermittlungen nur hinderlich sein.
Hinter der Tür der Görlichs
ertönte ein lautes Scheppern. Er blieb stehen und horchte. Noch ein
dumpfer Knall, als träte jemand gegen die Tür. Eine laute Männerstimme,
dann flog die Tür auf. Görlich
wollte blind an ihm vorbeistürmen, doch Leo vertrat ihm den Weg.
Görlichs Hemd klaffte
auf, das Unterhemd war fleckig und voller Löcher. Sein unrasiertes
Gesicht war wutverzerrt. »Weg da, lassen Se mir in Ruh!«
»Herr Görlich, ich
muss noch einmal mit Ihrem Sohn sprechen«, entgegnete Leo mit
Nachdruck.
Der Mann funkelte ihn an.
»Der Sauhund is nich hier, Herr Kommissar«, sagte er. »Ich
weiß nich, wo der Kerl sich wieder rumtreibt. Aber wenn er kommt,
kriegt er 'n Katzenkopp, der sich gewaschen hat.«
Leo bemerkte, dass Frau Görlich
in der Wohnungstür stand und ihn ängstlich ansah. »Mein
Mann hat Sorgen«, sagte sie entschuldigend.
»Das geht den feinen
Herrn hier gar nichts an«, schrie Görlich. »Mein letztes
Geld ham se mir gestohlen, das werd ich melden.«
»Wer hat Ihnen Geld
gestohlen?«
»Im Spielklub in der
Pankstraße, hab alles eingesetzt, dreihundert Prozent ham se mir
versprochen, und jetzt is alles weg.«
Leo seufzte. Glücksspiel
und Wettschwindel blühten allenthalben, auf den Straßen, in
Kellerkneipen und eleganten Etagenwohnungen, und alle Spieler waren auf
schnellen Reichtum aus. Reich wurden allerdings nur die Betreiber der
Spielhöllen, und wenn sie schlau waren, machten sie sich aus dem
Staub, bevor ihre leichtgläubigen Kunden es merkten. Doch die Not war
so groß, dass viele Leute jedes Risiko eingingen und auch den
haarsträubendsten Versprechungen Glauben schenkten.
»Das tut mir leid, Herr
Görlich, aber Sie sollten Ihren Zorn nicht an Ihrem Sohn auslassen.«
Der Mann machte einen Schritt
auf Leo zu, als wollte er ihn angreifen, besann sich dann aber. Er legte
den Kopf schief und sah Leo drohend an. »Das ist
mein Sohn, und der geht Ihnen gar nichts an, Herr Kommissar«, sagte
er in unverschämtem Tonfall. »Ick bezahl mir dumm und dusselig
für das Aas, was glauben Se, was der alles frisst?«
Leo musste sich bremsen, am
liebsten hätte er den Mann geohrfeigt. »Ihr Sohn mag ein wenig
langsam sein, ist aber ein sehr anständiger Junge. Er gibt sich alle
Mühe, zum Unterhalt der Familie beizutragen, und erntet dafür
nichts als Beschimpfungen und Schläge.«
»Ick sach ja, das geht
Ihnen nichts an, oder sind Se von der Fürsorge? Ick versteh nich, wat
Se an dem Kerl finden.«
»Es geht nach wie vor
um den Mord an dem Maler Wegner. Ich bin der Ansicht, dass Ihr Sohn womöglich
mehr weiß, als er sagt.«
»Lügen tut der wie
gedruckt.«
»So war das nicht
gemeint. Es könnte sein, dass er Angst hat, weil er etwas gesehen
hat, das er nicht sehen sollte. Vielleicht sogar den Mörder.«
Ein verschlagener Ausdruck
huschte über das Gesicht des Mannes. »Sagen Se mal, Herr
Kommissar«, meinte er unangenehm vertraulich, wobei er Leo seinen
übelriechenden Atem ins Gesicht blies, »gibt's etwa 'ne
Belohnung?«
Leo wich zurück und schüttelte
den Kopf. »Bislang wurde keine Belohnung ausgesetzt. Ausgeschlossen
ist es natürlich nicht. Außerdem sollten Sie uns auf jeden Fall
weiterhelfen, wenn Sie oder Ihr Sohn etwas wissen oder erfahren.« Im
Gehen drehte er sich noch einmal um. »Ich komme wieder, Herr Görlich.
Sollte Ihr Sohn dann irgendwelche Verletzungen aufweisen, werde ich Sie
persönlich zur Rechenschaft ziehen.« Er nickte der Frau zu und
stieg die ausgetretenen Treppenstufen hinunter. Draußen atmete er
erst einmal tief die kalte Winterluft
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