Tod in Blau
meine Ehe war
nicht sehr glücklich, das habe ich nicht verschwiegen, aber ich hätte
Arnold nie -« Sie schluckte heftig.
»Wenn Sie mir noch
einmal genau schildern, was Sie am Todestag Ihres Mannes getan haben, kann
ich unter Umständen auf eine Vorladung verzichten, Frau Wegner. Aber
der Einkauf in der Schirmhandlung reicht als Alibi nicht aus.«
Sie setzte sich wieder und
verschränkte die Hände im Schoß. »Dann stellen Sie
bitte Ihre Fragen«, sagte sie resigniert.
»Wann genau hat Ihr
Mann am fraglichen Tag das Haus verlassen?«
Nelly Wegner überlegte
kurz. »Er hat lange geschlafen, weil er am Abend vorher unterwegs
gewesen war. Er ging so gegen elf, würde ich sagen. Augenblick, da fällt
mir ein, er hat eine Nachbarin auf der Treppe gegrüßt, die kann
es bestätigen«, setzte sie mit neuem Mut hinzu.
Walther notierte sich
vorsichtshalber den Namen der Nachbarin.
»Und Sie selbst haben
um halb sechs nachmittags die Feuerwehr angerufen. Das ergibt einen
Zeitraum von sechseinhalb Stunden, für den Sie ein Alibi beibringen müssen.«
»Morgens war ich hier
und habe gewaschen. Sicher haben mich Nachbarn auf dem Weg in die Waschküche
gesehen. Ich bin mehrmals mit dem Korb durchs Treppenhaus gelaufen. Gegen
Mittag war ich beim Bäcker, dort kennt man mich auch.«
Walther nickte und blätterte
einige Seiten zurück. »Sie waren gegen drei in der
Schirmhandlung, das hat mein Kollege überprüft. Selbst wenn wir
davon ausgehen, dass Sie sich dort zehn bis fünfzehn Minuten
aufgehalten haben, und den Fußweg bis zum Atelier berücksichtigen,
bleiben immer noch etwa zwei Stunden bis zum Anruf bei der Feuerwehr. Wo
sind Sie in dieser Zeit gewesen?«
»Darf ich?« Sie
war aufgestanden und ans Büfett getreten, auf dem eine Flasche
Kirschwasser stand. »Ich trinke sonst nie, aber heute -« Sie
biss sich auf die Lippen. »Im Grunde ist es auch kein Geheimnis, wo
ich war.« Sie schenkte sich ein kleines Glas ein. »Nur jetzt,
nachdem Sie das alles gesagt haben … ach, egal, Sie werden es ja
ohnehin erfahren.«
Sie setzte sich wieder und
nahm einen tiefen Schluck. Eine leichte Röte stieg in ihre blassen
Wangen, die sie gleich viel hübscher aussehen ließ.
»Ich war in einem
Waisenhaus in der Türkenstraße, das nicht weit von diesem
Schirmgeschäft entfernt ist.«
»Bei Frau Müller?«,
fragte Walther rasch.
Nelly Wegner zuckte zusammen.
»Sie waren schon dort? Warum stellen Sie mir dann all diese Fragen?«
»Weil ich die Antworten
von Ihnen selbst hören möchte.«
Sie trank das Glas aus und
stellte es entschlossen auf den Tisch. Dann fuhr sie sich übers Haar
und sah ihn beinahe herausfordernd an.
»Ja, ich war dort und
habe mit Frau Müller gesprochen. Und mit einem kleinen Mädchen
namens Adele, das ich vielleicht adoptieren werde. Sie ist fünf. Ich
bin bis etwa Viertel vor fünf dort geblieben und danach zu Fuß
zum Atelier gegangen. Als ich Arnold - seine Leiche - fand, bin ich
losgelaufen und habe von dem Geschäft in der Afrikanischen Straße
die Feuerwehr gerufen. Das haben Sie doch überprüft, oder?«
Walther nickte etwas
widerstrebend und räusperte sich. »Ich muss Sie dennoch bitten,
Ihre Aussage morgen im Präsidium noch einmal zu Protokoll zu geben
und zu unterschreiben. Danach können Sie nach Hause gehen. Allerdings
müssen Sie sich weiter zu unserer Verfügung halten.«
Nelly schaute jetzt hoch, in
ihren Augen lag neue Hoffnung. »Heißt das, Sie verhaften mich
nicht?«
Walther stand auf und schüttelte
den Kopf. »Nein.«
Sie streckte ihm die Hand
entgegen. »Und ich darf dieses Mädchen noch einmal besuchen,
damit es sich an mich gewöhnt?«
»Gewiss. Ich würde
aber mit weiteren Schritten warten, bis die Ermittlungen abgeschlossen
sind und der Mörder gefunden wurde. So viel Geduld sollten Sie schon
aufbringen.«
Sie nickte und schob die
Schnapsflasche ganz weit nach hinten auf das Büfett, als wollte sie
nichts mehr damit zu tun haben. »Danke.«
Walther zuckte mit den
Schultern. »Ich habe nur meine Arbeit getan. Und die besteht auch
darin, Unschuldige vor einer Verhaftung zu bewahren. Auf Wiedersehen, Frau
Wegner. Morgen um elf im Präsidium?«
Sie nickte und schloss
erleichtert hinter ihm die Tür.
*
Leo Wechsler zog unwillkürlich
den Mantel enger um sich, als er das düstere Treppenhaus betrat. Es
roch so durchdringend
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