Tod in Bordeaux
habe. Ich habe immer Menschen bewundert, die Mut zeigen und nicht kuschen, die einigermaßen wissen, wohin sie wollen, und das auch sagen. Bei mir hat sich immer alles nur ergeben, ich bin überall hineingeschlittert.»
«Ein Ziel habe ich mir noch nicht gesetzt», sagte Charlotte nachdenklich - mehr zu sich selbst, jedoch so laut, dass Martin sie verstehen konnte. «Das kommt von allein, wenn ich Ruhe habe. Ich muss mir über einiges klar werden.» Sie seufzte, schaute ihn an, ging dann zum Fenster und blickte in den Regen. Draußen gab es nichts zu sehen außer herbstlich rotem Weinlaub vor grauem Himmel.
Beide schwiegen befangen, sie waren an einen Punkt gelangt, an dem sie nie zuvor gewesen waren. In ihrer Distanz zueinander lag mehr Nähe als in einer zu frühen Umarmung. Jedes weitere Wort ist überflüssig, dachte Martin, jeder Mensch braucht seine Zeit, sowohl zum Begreifen als auch, um sich zu neuen Entschlüssen durchzuringen. Er kannte Charlotte nicht gut genug, also wäre es verfehlt, ihr einen Rat zu geben. Schweigend wandte er sich wieder dem Essen zu, davon verstand er etwas, bereitete den Fond, kochte dazu Fischabschnitte und Gemüse, nur knapp zwanzig Minuten, damit der Sud nicht klebrig wurde, und schnitt das Gemüse für den eigentlichen Eintopf in Stücke und Streifen.
«Wie weit ist der Pechant?», brach Charlotte das Schweigen. «Kriegst du ihn so hin, wie du ihn haben willst? Mein Vater jedenfalls ist begeistert.» Sie wusch sich ausgiebig die Hände und rieb sie mit Limetten ab. Dann begann sie die croûtes vorzubereiten, schnitt Weißbrot und legte die Scheiben, die später mit Knoblauch eingerieben wurden, auf ein Backblech. Noch war es zu früh, den Ofen einzuschalten.
«Gastons Wein ist mittlerweile eine Art Gemeinschaftsprodukt; dein Vater arbeitet daran mit, Caroline ist beteiligt, und ich habe meine Hände drin. Ja, der Wein wird Spitze, wenn uns niemand die Bude anzündet oder die Fässer zerhackt.» Oder mir den Schädel einschlägt, aber das sagte er nicht laut.
Das war das Stichwort, um Charlotte ausführlich von Fleurys Auftritt zu berichten. Er tat es, ohne sein eigenes Verhalten zu beschönigen: «Ich bin total ausgerastet, das war das Dümmste, was ich mir je geleistet habe», sagte er zum Schluss.
«Ganz im Gegenteil», erwiderte Charlotte, die begeistert zugehört hatte und schadenfroh grinste. «Ich kenne Fleury, na ja, kennen ist zu viel gesagt, ich habe ihn dann und wann bei offiziellen Anlässen getroffen. Im Grunde ist er ein Schleimer, eine Krake mit tausend Armen und Saugnäpfen. Du hast ihn rausgeworfen? Toll, ganz wunderbar. Das hat noch keiner gewagt.»
«Wahrscheinlich war es das Falscheste, was ich tun konnte. Jetzt weiß es ganz Bordeaux.»
«Nie und nimmer. Der wird sich hüten, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Das ist für ihn die totale Niederlage. Großartig hast du das gemacht.» Charlotte strahlte. «Also schlitterst du doch nicht nur ...»
«Sag das mal Caroline. Ihre Mutter macht ihr inzwischen die Hölle heiß, sie ruft jeden zweiten Tag an, Fleury hat sie aufgehetzt.»
«Das sind mir die richtigen Bankiers, sich hinter alten Weibern verstecken und intrigieren.»
Sie horchten auf, denn man hörte ein Auto auf dem Kies der Einfahrt. Es hätte Caroline mit den Kindern sein können, doch vor dem Haus hielt ein dunkelgrüner Geländewagen, bullig, paramilitärisch, fast bedrohlich.
«Wer fährt denn so ein Ding?», wunderte sich Charlotte.
«Keine Ahnung», sagte Martin. Den Fahrer konnte man hinter den getönten Scheiben nicht erkennen. Der Mann stieg aus, setzte einen Hut auf, die Krempe verdeckte das Gesicht, und ging auf die Garage zu. Charlotte und Martin erkannten ihn im selben Moment: «Bichot!», sagten sie wie aus einem Mund.
«Der Herrscher von Grandville. Was will der denn?», wunderte sich Charlotte.
Auch Martin fragte sich, was Bichot wollte. Kam er, um zu helfen, oder war auch er eine Hyäne, die Gastons Tod angelockt hatte? Auf der anderen Seite war es gut, dass Bichot da war, denn jetzt konnte er ihn endlich fragen, ob der Haut-Bourton von ihm stammte wie in Gastons Kladde vermerkt.
Rasch ging Martin durch den Flur und zog leise die Haustür auf. Aber statt Bichot zu begrüßen, zögerte er, wartete vom Eingang verdeckt, was geschehen würde. Charlotte trat hinter ihn, legte ihm die Hand auf den Arm und schob ihn ein wenig zur Seite, um das Geschehen zu verfolgen. Martin empfand ihre Berührung als äußerst angenehm.
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