Tod in Bordeaux
hilflos ihren Mann an. Das Schweigen ließ sich schneiden, bis Jean-Claude zu ihnen trat.
Gastons Bruder schüttelte Martin herzlich die Hand. «Gaston hat oft gesagt, an dir sei ein Winzer verloren gegangen. Ich glaube, er hat es ernst gemeint. Du wirst uns bei der Lese eine große Hilfe sein.»
Der lang aufgeschossene Mann mit den grauen Strähnen im schwarzen Haar und den weichen, dunkelbraunen Augen ähnelte seinem Bruder kaum, doch er war Martin auf Anhieb sympathisch, die wichtigste Voraussetzung für eine vernünftige Zusammenarbeit. Martin freute sich über die herzlichen Worte und war erleichtert, dass ihm niemand sein Zuspätkommen verübelte. Die Umstehenden nahmen die Gelegenheit zum Themenwechsel wahr. Endlich konnte man wieder über Wein reden, mit dem alle verbunden waren: Jean-Claude als Agraringenieur und Dozent, Gastons Eltern bewirtschafteten ihre eigenen Weinberge in Saint-Chinian, und Carolines Vater leitete die Exportabteilung eines Großhändlers in Narbonne, seit er aus gesundheitlichen Gründen seine Weinberge in Minervois verpachtet hatte.
«Das Wetter hat sich gehalten», sagte Caroline so leise, dass Martin sich zu ihr hinabbeugen musste, um sie zu verstehen. «Der Regen war kurz, an dem Tag, an dem du abgefahren bist. Das hat den Extrakt nicht verwässert. Das kühle Wetter hat die Reife verzögert, was Besseres konnte uns nicht passieren. Wir beginnen morgen mit der Lese ... wenn du einverstanden bist.»
Sie wurden von Trauergästen unterbrochen, die ihre Hilfe anboten. «Wenn du etwas brauchst, Caroline ... wir sind immer für dich da. Du kannst mit uns rechnen. Ruf uns an ... sei stark ... du bist so tapfer ... die Kinder brauchen dich jetzt besonders ...», und so weiter und so weiter, dachte Martin.
Caroline bat ihn, Madame Lisette und Monsieur Jerome mitzunehmen. Martin sah sich nach den Nachbarn um. Sie lebten auf der anderen Seite der Anhöhe, jenseits von Gastons Weinberg. Früher hatte er ihnen gehört.
Mit blutendem Herzen hatten sie mit angesehen, wie der Cabernet Franc ausgerissen und stattdessen Merlot gepflanzt wurde, die Rebstöcke so dicht, wie bei den Premiers Crus üblich, 10000 Stöcke pro Hektar. Auch den größten Teil des Cabernet Sauvignon hatte Gaston durch Merlot ersetzt. Aber was er später aus den neuen Rebsorten herausgeholt hatte, selten mehr als eine oder höchstens zwei Trauben am Stock lassend, das hatte sie überzeugt. Sie neideten ihm den Erfolg in keiner Weise. Monsieur Jerome, der die Sechzig überschritten hatte, hätte sich selbst eine so radikale Umgestaltung nicht zugetraut, aber er half, wenn Gaston ihn brauchte. Madame Lisette kümmerte sich um die Kinder, eine Art Ersatz für die Enkel, die sie sich von ihrer Tochter erhofft hatte. Die machte stattdessen Karriere in der Politik.
«Sie haben Charlotte nie kennen gelernt, Monsieur Martin?», fragte Madame Lisette, «da drüben, da steht sie.» Sie zeigte auf eine elegante brünette Frau Anfang bis Mitte dreißig, die sich mit einem langhaarigen Mann auf einem Motorrad unterhielt. Vertraulich neigte sich Madame Lisette Martin zu:
«Sie wollte nicht mit zur Beerdigung kommen, sie hasst so etwas. Eigentlich macht sie bei uns Ferien - und dann dieses Unglück.» Madame Lisette stöhnte. «Paris tut ihr nicht gut, das Ministerium, die Verantwortung, das ist kein Leben für Charlotte, sie ist schließlich hier aufgewachsen. Und wir dachten, sie macht in Paris ihr Glück. Na, Eltern stellen sich das Leben ihrer Kinder meistens anders vor. Sie ist ein herzensguter Mensch, viel zu schade für die Politik. Seien Sie nachsichtig mit ihr, sie ist nicht gut auf ... äh ... Männer zu sprechen, seit ihrer Scheidung.»
Das fehlte mir gerade, dachte Martin. Sein Bedarf an komplizierten Frauen war gedeckt. Der Stress mit Petra und die Aufregung der letzten Woche reichten ihm, jetzt kam die Verantwortung für Gastons Wein hinzu, denn anders war Carolines Nachsatz «...wenn du einverstanden bist» wohl kaum zu verstehen.
Auf Schritt und Tritt würde er Gaston begegnen, auf jedem Quadratmeter Erde hatte er seine Fußabdrücke hinterlassen, jeden Weinstock in die von ihm gewünschte Richtung gezogen, jedes Fass lag dort, wo er es hatte haben wollen. Bei allem, was er von jetzt an tat, würde er sich fragen, ob Gaston es wohl besser gemacht hätte. Andererseits konnte er endlich das verwirklichen, was er sich insgeheim seit langem wünschte, sich aber nie eingestanden hätte: selbst einen Wein zu machen. Und
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