Tod in Bordeaux
Haut-Bourton schließen ließ. Er war auf der falschen Fährte. Wieso aber gab es keine Aufschriften wie in anderen Kellereien, welche Weine in den Gärtanks waren? Nicht einmal die Mengen waren angegeben. Wem mochte dieser runtergekommene Laden gehören? Wem von den 12 000 Winzern im Bordelais? Bestimmt wusste es der Stiesel von der Tankstelle.
Das Bistro neben der Tankstelle war gerammelt voll, laut und verqualmt. Martin bahnte sich einen Weg zum Tresen, wo ihn der Tankwart empfing. «Keiner mehr da, auf Moulin?», fragte er, jetzt mit langer Schürze als Wirt und Patron viel freundlicher als am Nachmittag. «Wie ich gesagt habe. Und, was gefunden?»
«Was soll ich gefunden haben?», wich Martin aus.
«Na, erzählen Sie mir nichts - Sie suchen doch was. Das merkt jeder. Da drüben, am Billardtisch, sind zwei von denen, die auf Moulin arbeiten. Die Algerier sind schon gegangen, die bleiben meist unter sich. Spielen Sie Billard?»
Martin nickte. «Leidlich. Algerier? Im Weinbau?»
Der Wirt brachte Pernod und eine Karaffe mit Wasser zu einem anderen Tisch und kam zurück. «Sind billig, und Trauben abschneiden ist einfach. Ich dachte zuerst, Sie sind von der Ausländerbehörde, aber dann habe ich gesehen, dass Sie ein deutsches Nummernschild haben. Dafür sprechen Sie verdammt gut Französisch. Was trinken Sie?»
Martin bestellte und suchte sich einen freien Platz gleich neben dem Billardtisch. Den Spielern zusehen war fast so gut, wie selbst zu spielen, er konnte darüber nachdenken, was er an ihrer Stelle tun würde, und nach der Karambolage sagen, was sie falsch gemacht hatten. Der Patron brachte ihm einen Espresso und einen Armagnac.
«Der da am Billardtisch, mit der Matte, Jacques, der spielt verdammt gut. Aber er schummelt. Passen Sie auf. Am besten, man spielt mit ihm zusammen. Aber das wollen alle.» Der Patron lachte, klopfte Martin auf die Schulter und eilte zum nächsten Gast.
Dieser Jacques war Martin gleich beim Reinkommen aufgefallen. Er war hager, hatte eine schmale, lange Nase und wache, ein wenig verschlagene Augen. Das blonde Haar hing ihm bis auf die Schultern herab. Martin schätzte ihn auf Mitte dreißig, etwas jünger als er selbst. Während Jacques das Piston des Queue mit Kreide bestrich, musterte er seine Mitspieler aufmerksam. Als seinem Gegner eine Karambolage misslang, holte er tief Luft, krempelte die Hemdsärmel um und fasste das Queue mit seinen feingliedrigen Fingern. Der Stoß war schnell und hart, die Kugeln flitzten über den Tisch. Als sie ausgerollt waren, lagen sie so, dass die nächste Karambolage gelingen musste. Und das tat sie. Nach der siebenten Karambolage standen die ersten von den Tischen auf, nach der achten erstarb das Gespräch, nach der neunten herrschte Stille. Jacques war mit dem Queue und dem Tisch eins geworden.
«Abends ist er entweder hier, oder er verführt Ehefrauen», feixte der Wirt im Vorbeigehen.
Jacques hob triumphierend den Kopf, und genau in diesem Augenblick misslang ihm die fast sichere Passage. Martin hatte den Eindruck, dass er zu viel Effet auf die linke Seite der Kugel gegeben hatte. Jacques zuckte mit den Achseln. Er bemerkte Martins Blick und trat zu ihm.
«Neu hier?»
«Wie man‘s nimmt.»
«Und wie nimmt man’s?»
«Wie es kommt.»
Jacques strich sich das Haar aus der Stirn. Martins Antwort schien ihm zu gefallen. «Was trinkst du?»
«Armagnac - und Kaffee.»
«Zu niedrigen Blutdruck?»
«Bisher noch nicht.»
«Ist ein boche », sagt der Wirt im Vorbeigehen.
«Ja», antwortete Jacques, «aber ganz sympathisch. Patrice, bring ihm noch ’nen Armagnac, dieses Mal ’nen doppelten. Mal sehen, was er kann. Mir ein Bier.» Er nahm die Flasche und forderte Martin auf, mit an seinen Tisch zu kommen.
«Was machst du hier? Du siehst aus wie ein Einkäufer.»
«Ja, bin ich. Im Moment jedoch mache ich Wein. Für einen Freund.»
«Und wer ist dein Freund?»
«Ein Winzer aus Saint-Émilion.»
«Braucht er dazu die Hilfe von ’nem deutschen Weinhändler?»
«Seine Frau braucht sie, er nicht, er ist tot...»
«Wieso?» Jacques kniff die Augen kaum merklich zusammen.
«Er hatte einen Unfall, in einem Lager, drüben in Bordeaux.»
«Ach ja, bei LaCroix, habe davon gehört, schon komisch, so was. Da geht einer in ein Weinlager, und ihm fallen Paletten auf den Kopf. Merkwürdig, dieser Unfall. Ich nehme an, du glaubst nicht daran. Würde ich auch nicht. So, jetzt bist du dran, wirst gegen mich spielen.»
Die Partie war schwierig,
Weitere Kostenlose Bücher