Tod in Bordeaux
und studierte die Karte.
Im Bistro direkt nebenan zog jemand die vergilbten Vorhänge beiseite, gleich darauf öffnete sich die Tür. Ein unrasierter Mann mit beginnender Glatze und einem grauen Kittel, wahrscheinlich der Tankwart, schlurfte herüber, bückte sich zum Wagenfenster und blickte Martin neugierig durch die Scheibe an. Martin ließ sie nach unten gleiten und fragte ihn, ob er zufällig ein Château Moulin de la Vaux kenne.
Der Tankwart richtete sich auf, strich sich nachdenklich über den Kopf und nickte mehrmals. «Ja.»
«Kennen Sie den Weg dahin? Können Sie ihn mir bitte beschreiben?»
«Was wollen Sie da?»
Martin sah den Mann entgeistert an. Was ging es den Tankwart an? Hatte er damit zu tun? «Wieso fragen Sie mich das?»
«Sie haben mich ja auch was gefragt. Es kann mir egal sein, aber da ist niemand mehr, um diese Zeit.»
«Woher wissen Sie das?»
«Die Arbeiter sind mittags vorbeigekommen, sie haben Billard gespielt, das tun sie immer, dann sind sie weggefahren. Ich habe mich gewundert, dass sie so früh fertig waren.»
«Dann ist das Château nicht weit?»
«Nein.»
«Nun sagen Sie mir schon den Weg ...» Martin war kurz vor der Verzweiflung.
«Ist ja gut, Monsieur. Also, Sie fahren geradeaus Richtung Belvès, nach genau anderthalb Kilometern nach links, auf einer schmalen Straße, etwa einen halben Kilometer, bis Sie zu einem Wäldchen kommen. Dann biegen Sie rechts ab in den Schotterweg, und auf dem Hügel liegt dann der Laden. Eine Mühle gibt es nicht mehr, die ist abgebrannt. Aber ich sage Ihnen gleich, es ist keiner mehr da.»
Martin gab ihm ein großzügiges Trinkgeld und fuhr weiter. Er folgte den Angaben des Tankwarts, und als er in den Schotterweg einbog, sah er rechts das Blechschild: Château Moulin de la Vaux. Die Farbe blätterte ab, und es war voller ausgefranster Löcher, als hätte jemand darauf geschossen. Das Château auf der Hügelkuppe sah nicht viel besser aus - es war nicht mehr als ein heruntergekommener Bauernhof. Zwei große scheunenartige Gebäude rechts und links, dazwischen ein weiter Innenhof, vorne neben dem Tor ein kleines, an die Scheune gelehntes Wohnhaus für den Verwalter.
Martin stellte den Wagen in einem nahen Wäldchen ab, wo er nicht gesehen werden konnte. Er zog die Laufschuhe an und lief von hinten auf das Château zu. Nirgends eine Menschenseele. Die leicht zur Straße hin abfallenden Weingärten machten einen verwahrlosten Eindruck. Die Pfähle für die Spanndrähte der Rebzeilen waren schief, einige morsch, die Rebstöcke standen zu eng, viel zu viel Laub für gute Durchlüftung und richtige Sonneneinstrahlung, obwohl die Rebzeilen von Ost nach West verliefen und den ganzen Tag über Sonne hatten. Der Kellermeister oder Önologe hier war sein Geld nicht wert. Und doch wurde der Weinberg bewirtschaftet, die Trauben waren geerntet.
Martin rüttelte an dem Holztor, es war neu und sah stabil aus - alles blieb still, zu seiner Erleichterung schlugen keine Hunde an. Er sah an der hohen Backsteinmauer hinauf, die mit Glasscherben gespickt war. Ohne fremde Hilfe und ohne einen dicken Teppich, den man über die Glasscherben werfen konnte, war ans Überklettern nicht zu denken.
Vielleicht würde er an der Rückseite mehr Erfolg haben. Dort fand er einen Anbau mit vergitterten Fenstern und einer Tür. Sie war zu Martins Überraschung unverschlossen. Dahinter lag ein dunkler Raum, der bis zur Decke mit zerbrochenen Fässern, Fassreifen, morschen Kisten und rostigen Maschinenteilen gefüllt war. Unschlüssig betrachtete Martin das Gerümpel. Als er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, bemerkte er Fußabdrücke, die an einem Blech endeten. Er rückte die verbeulte Platte zur Seite und entdeckte einen Tunnel. Wahrscheinlich hatten ihn die Arbeiter angelegt, um unbemerkt Flaschen beiseite schaffen zu können.
Martin zögerte nicht und kroch hindurch. Hinter einem Haufen abgestellter Paletten kam er heraus. Mit einem Schlag war es hell. Er stand am Ende einer Reihe von mehr als mannshohen Gärtanks, deren Fassungsvermögen er auf jeweils 40 000 Liter schätzte.
Plötzlich hörte er ein Geräusch. Martin erschrak, aber es war nur ein schlagendes Fenster. Vorsichtig sah er sich in der Halle um.
Alle Gärtanks waren voll. Die Temperatur wurde mittels nachträglich eingebauter Kühlschlangen niedrig gehalten. Plastikwannen fingen die Tropfen aus undichten Abfüllstutzen auf, und an der gegenüberliegenden Wand standen zwei neue zylindrische Pressen.
Weitere Kostenlose Bücher