Tod in Bordeaux
Über allem lag der süßsaure Geruch nach Gärung, und als Martin in den Innenhof trat, fiel er fast in einen lilafarbenen Berg aus gepressten Traubenschalen und -kämmen. Eine schwarze Wolke von Essigfliegen stob auf. Das Zeug musste seit Tagen vor sich hin modern.
Im Hof befand sich außen an der Hallenwand eine Reihe gekachelter Gruben. Dort entluden Lastwagen sonst ihre Trauben, Schneckengewinde beförderten sie weiter in die Maschine zum Entrappen und Pressen, denn bei einfachen Weinen wurde nur der Most und nicht, wie bei Gastons Pechant, die ganze Beere vergoren.
An der hinteren Mauer des Hofes stand neben einem Gabelstapler der Auflieger eines Sattelschleppers. Das konnte nur eine mobile Abfüllanlage sein. Martin öffnete die hintere Tür und kletterte auf die Ladefläche. Er kannte diese Anlagen. Sie wurden von Winzern, die sich keine eigene Abfüllanlage leisten konnten oder deren Produktion zu gering war, benutzt. Dafür durften sie später ‹Mis en Bouteille au Château› auf ihr Etikett schreiben, abgefüllt im Château. Diese Anlage machte, im Gegensatz zum Rest des Betriebs, einen gepflegten Eindruck. Alle Metallteile glänzten, nicht einmal auf dem Plexiglas fanden sich Spuren von Weintropfen. Jemand hatte sich die größte Mühe gegeben, Zuleitungen, Greifvorrichtungen und Transportbänder penibel sauber zu halten. Doch weder Kartons noch Etikettenreste gaben Auskunft, was zuletzt abgefüllt und etikettiert worden war. Martin schlug die Hecktür zu und machte sich an die Inspektion der zweiten Halle.
Hier standen noch die Gärtanks aus Zement, wie man sie benutzt hatte, bevor Edelstahl in Mode kam. Was hier gärte, war Fassware der billigsten Sorte, Wein für die Großmärkte, der in Plastikschläuchen abgepackt wurde -und niemals in 12er Holzkisten. In einer Ecke lagen Eichenspäne am Boden. Martin registrierte sie nur flüchtig, er war auf der Suche nach Kisten aus Kiefernholz.
Dieser verdammte Grivot war zu früh gekommen. Martin ärgerte sich wieder, dass er nicht wusste, ob nun Haut-Bourton oder Moulin de la Vaux in den Kisten bei LaCroix gewesen war. Ach, es war müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er müsste diesen Moulin probieren. Das Flaschenlager war wahrscheinlich im Keller. Eine Treppe führte nach unten.
Martin tastete im Halbdunkel nach dem Schalter, prallte mit einem harten Gegenstand zusammen, was ihn schmerzlich an die Wunde in der Brust erinnerte, und fand den Schalter. Das Licht ging an.
An der langen Seite des Kellers kamen Armaturen und Ventile aus der Wand, was darauf schließen ließ, dass auch dahinter Tanks lagen. Wie groß ihr Fassungsvermögen war, ließ sich nicht bestimmen, und sie trugen auch keine Beschriftung.
Auf der anderen Seite begann das Flaschenlager. Fast alle der aufeinander getürmten Drahtcontainer waren leer, nur in einem lagen genügend Flaschen. Martin steckte zwei Flaschen ein, und gerade, als er das Licht ausschalten wollte, entdeckte er die eingeschweißte Palette mit den Kartons. Er brauchte die durchsichtige Plastikhülle gar nicht aufzureißen, die Pappkartons lagen mit der Schrift nach oben: ‹Moulin de la Vaux›. Martin fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Sieh an, Pappe für den Moulin -dann waren die fürs Inland bestimmt und die Holzkisten fürs Ausland, wenn Moulin de la Vaux außerhalb Frankreichs zur Edelmarke aufgebaut werden sollte. Und was war dann mit dem Haut-Bourton?
Unschlüssig blickte Martin sich um, doch er sah nichts, was ihn weiterbrachte. Er machte kehrt, löschte das Licht und tastete sich nach oben.
Im Hof blieb er stehen. Sein Blick fiel auf eine Tür mit dem Schild Patron. Jemand hatte ein Strichmännchen mit einem riesigen Phallus darauf gezeichnet. Die Tür hatte ein Sicherheitsschloss und war abgeschlossen. Durchs Fenster konnte er nur wenig sehen. Abgestoßene Büromöbel, hölzerne Rollschränke, eine wunderbare alte Schreibtischlampe, die er lieber in seinem Büro gesehen hätte, und eine noch ältere Rechenmaschine. Rechts am Boden standen Kartons mit Etiketten. Sie waren ockerfarben, so wie die vom Haut-Bourton. Sollte er die Tür eintreten oder die Scheibe einschlagen? So sehr er sich die Nase an der Scheibe platt drückte, er konnte den Aufdruck nicht erkennen. Gewaltsam in den Raum einzudringen, traute er sich nicht. Sich über seinen fehlenden Mut ärgernd, machte er sich auf den Rückweg.
Nichts hatte er entdeckt, was auf eine Verbindung zwischen dem Moulin de la Vaux und dem
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