Tod in Bordeaux
wenn der Andrang zu groß gewesen war.
Als nach Feierabend alles Nötige besprochen und Frau Schnor gegangen war, fuhr Martin zum Copy-Shop. Er kopierte Gastons Notizen Seite für Seite, bis er eine komplette zweite Ausgabe in den Händen hielt. Dann steckte er sie in einen Umschlag und fuhr zu Sichel, der nicht zu Hause war, also warf Martin die Kopien in den Briefkasten.
Danach deckte er sich bei seinem türkischen Gemüsehändler mit allem Nötigen ein, um sich einen angenehmen Abend in der Küche zu machen, und fuhr nach Hause.
Gegenüber seinem Haus, einem Altbau aus dem Ende der Gründerzeit, das er vor drei Jahren gekauft hatte und in dem er eine der acht Wohnungen selbst nutzte, war kein Parkplatz mehr frei. Langsam rollte er um den Block, bis er schließlich in der übernächsten Querstraße eine Lücke fand. Er nahm Aktenkoffer und Einkaufstüten aus dem Kofferraum und machte sich auf den Weg.
Eigentlich hätte ihm der Wagen mit dem französischen Nummernschild kurz vor seinem Haus auffallen müssen, aber er ärgerte sich immer noch über die steigenden Preise für Gemüse und die Einführung des Euro, und so schenkte er dem blauen Renault keine Beachtung, genauso wenig wie den beiden Männern, die ihm entgegenkamen.
Er ging zwischen den Gittern der Vorgarteneinfassung auf die Haustür zu, stellte Aktenkoffer und Einkaufstüten ab und schloss auf. Das Kilo Zucchini lag inzwischen bei drei Euro, das waren sechs Mark. Unglaublich. Tomaten aß er schon lange nicht mehr, sie schmeckten und rochen nach nichts und faulten nach zwei Tagen.
Als er den Koffer wieder in die Hand nahm und mit der Schulter die Tür aufdrückte, bemerkte er die Schatten hinter sich. Jemand griff ihm ins Haar und riss seinen Kopf nach hinten, gleichzeitig fuhr ihm etwas Kaltes an den Hals, ein Messer, die Spitze bohrte sich neben dem Kehlkopf in die Haut. Der Schreck raubte ihm für Sekunden die Luft. Da meinte es jemand verflucht ernst. Hört dieser Horror denn gar nicht auf, dachte Martin entsetzt und sah aus den Augenwinkeln die grobe Hand mit dem Stilett. Er wusste, dass die Männer nicht gekommen waren, um mit ihm zu diskutieren, fragte aber dennoch: «Was wollt ihr?»
«Halte die Schnauze, Bongers.»
Der Mann hinter ihm sagte es auf Französisch, damit war alles klar, es ging um den Wein. Verfluchtes Bordeaux!
«Lass die Hände unten. Geh rein - in die Tür, schnell!»
Die Stimme des Mannes klang verschleimt, wie bei einem Kettenraucher. Martin hatte sie noch nie gehört. Der Mann stank nach Zigarettenrauch, wahrscheinlich hatte er stundenlang rauchend im Wagen gesessen.
«Dreh dich nicht um», drohte der Mann, «sonst bist du tot!»
Martin fühlte sich absolut ausgeliefert. Kaum war er zurück, waren sie schon da, wie bei der letzten Rückkehr. Da waren der Korse und die Lederjacke gekommen. Die hatten den Wein zumindest noch bezahlt. Dieses Mal würde es umgekehrt sein, diesmal würde er bezahlen müssen. Er musste etwas getan haben, worüber sich jemand schrecklich geärgert hatte. Martin dachte an den Lagerleiter von LaCroix, an den Korsen und Garenne. Gehörten die Männer hinter ihm zu der Bande der Weinfälscher? Drohte ihm Gastons Schicksal?
Martins Gehirn setzte aus. Er spürte ein grässliches Ziehen von den Mundwinkeln hin zum Hals, es ging nach unten, in den Magen, und von dort kam die Angst. Angst, dass sie ihm wehtun würden. Er versuchte, ruhig zu atmen. Als er begann, sich auf die Stimme und Gerüche zu konzentrieren und alles, was geschah, genau zu registrieren, ließ die Angst nach. Nein, sie würden ihn nicht umbringen. Einen zweiten Mord konnten sie sich nicht leisten, außerdem wäre das in Frankreich einfacher gewesen, sie hätten ihm nicht bis hierher folgen müssen. Und wenn es gar nichts mit dem Haut-Bourton zu tun hatte?
«Geh weiter, Bongers! Nach oben, leise.»
Wahrscheinlich haben sie an den Klingelschildern gesehen, dass ich im dritten Stock wohne, dachte Martin und wunderte sich, was für Gedanken einem in solchen Momenten durch den Kopf gehen konnten. Wieso war denn niemand im Treppenhaus?
«Schließ auf und geh rein», befahl der Unbekannte, der mittlerweile Martins Kopf losgelassen hatte und ihm das Stilett oberhalb des Gürtels in den Rücken bohrte. «Wenn du dich umdrehst...»
Martin blieb vor seiner Wohnungstür stehen und versuchte den Mann mit dem Messer anzusehen. «Was wollt ihr?»
Sofort spürte er wieder die Spitze des Stiletts. Er öffnete die Tür und schaltete das
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