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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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dabei war, die Eingangstür abzuschlie-
    ßen. Anwaldt versetzte ihm einen kräftigen Tritt ins
    Kreuz und gleich darauf einen zweiten in die Rippen. Der
    andere hatte jedoch im letzten Moment die Tür ver-
    schließen und den Schlüssel durch den Briefschlitz schie-
    ben können. Man hörte das Klirren auf dem Marmor der
    Außentreppe. Ein dritter Tritt, diesmal gegen seinen
    Kopf, gab ihm den Rest. Er sank bewusstlos zu Boden. Da
    Anwaldt nun durch die Tür nicht mehr hinauskam, ha-
    stete er die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dicht hin-
    ter sich hörte er das schwere Keuchen seines fremdländi-
    schen Verfolgers. Ein Schuss zerriss plötzlich die Luft,
    und Anwaldt fühlte einen brennenden Schmerz am Ohr
    und gleich darauf warmes Blut, das seinen Hals hinunter-
    rann. (Verflucht, ich habe wieder meine Pistole nicht bei mir!) Er duckte sich im Lauf und riss eine der schweren Messingstangen heraus, die den purpurfarbenen Läufer
    auf der Treppe hielten. Aus dem Augenwinkel bemerkte
    er, dass sein Verfolger erneut auf ihn zielte. Der Knall er-tönte jedoch erst, als sich Anwaldt schon im ersten Stock
    befand. Die Kugel streifte splitternd eine der Marmorsäu-
    len und prallte in der Wandnische ab. Anwaldt stürzte
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    auf eine Tür zu und war mit einem Satz im Haupttrep-
    penhaus. Sein Verfolger war ihm dicht auf den Fersen.
    Die nächsten Schüsse bohrten sich krachend in die Ke-
    ramikfliesen der Wände. Anwaldt rannte blindlings wei-
    ter. Ein Stockwerk tiefer, vor dem Haupteingang zur
    Wohnung, stand ein verspäteter Gast. Hinter der schwar-
    zen Maske standen seine steifen rötlichen Haare hervor.
    Durch die Schüsse alarmiert, hatte auch er seinen Revol-
    ver gezogen. Als er Anwaldts ansichtig wurde, rief er:
    »Stehen bleiben, oder ich schieße!«, doch Anwaldt hatte
    sich schon geduckt, ausgeholt und ihm die Teppichstange
    mit aller Kraft entgegengeschleudert. Sie traf den Rothaa-
    rigen an der Stirn, er stürzte zu Boden und gab noch zwei
    Schüsse in die Luft ab. Von der Decke rieselte Staub und
    zerbröckelter Putz. Anwaldt schnappte sich die Stange,
    schwang sich über das Geländer und landete auf dem
    nächsttieferen Treppenabsatz. Das ganze Haus hallte von
    Schüssen wider. Anwaldt lief, stolperte, fiel hin, rappelte sich wieder auf, bis er endlich den letzten Treppenabsatz
    erreicht hatte. Erschrocken prallte er zurück, als er sah, wie ihm vier Männer entgegenkamen, die mit riesigen
    Schneeschaufeln bewaffnet waren. Anwaldt vermutete,
    der Hauswart mit drei Kollegen habe sich der Jagd auf
    ihn angeschlossen, er machte auf der Stelle kehrt und öff-
    nete das Fenster zum Hof. Ohne zu zögern, sprang er
    hinaus und landete direkt auf einem hier abgestellten
    Droschkenwagen. Splitter des Holzes bohrten sich in sei-
    ne Haut, ein durchdringender Schmerz durchzuckte sein
    Fußgelenk. Humpelnd lief er über den engen Hof. Plötz-
    lich ergoss sich aus allen Fenstern Licht – er wurde ange-
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    strahlt wie auf einer Bühne. Das Knallen der Schüsse er-
    schütterte den leeren Schacht des Hofes. Anwaldt drückte
    sich an den Wänden entlang und versuchte durch eine
    Hintertür in eines der Häuser zu gelangen, zwischen de-
    nen er gefangen war. Aber alle waren verriegelt, und seine Verfolger kamen immer näher. Einige Stufen führten
    zum Keller eines der Häuser, Anwaldt stolperte hinunter
    und betete – wenn auch diese Kellertür verschlossen wä-
    re, würden ihn seine Verfolger in dem Betonviereck des
    Hofes leicht in eine Ecke drängen. Aber sie gab nach.
    Anwaldt schlüpfte hinein und konnte sie im selben Mo-
    ment verriegeln, in dem der erste Verfolger an der Klinke
    rüttelte.
    Der Gestank von faulenden Kartoffeln, fermentieren-
    dem Wein und Rattenmist war der lieblichste Duft, den
    Anwaldt sich vorstellen konnte. Er ließ sich zu Boden
    sinken, wobei er sich den Rücken an der unverputzten
    Ziegelwand aufschürfte. Dann befühlte er sein Ohr. Ein
    heftiger Schauder ergriff ihn, dickflüssiges Blut tropfte
    erneut seinen Hals hinab. Das verletzte Fußgelenk pul-
    sierte schmerzhaft. An seiner Stirn, gleich unter dem
    Haaransatz, wo die Zähne seines Angreifers ihre Spuren
    hinterlassen hatten, konnte er einen gallertartigen Klum-
    pen ertasten, der langsam fest wurde. Ihm war klar, dass
    die Meute nur wenige Minuten benötigen würde, um in
    den Wohnblock einzudringen, daher musste er sich beei-
    len, aus dem Kellerlabyrinth zu entkommen.
    Es war stockfinster, und so tastete er sich

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