Tod in Breslau
dabei war, die Eingangstür abzuschlie-
ßen. Anwaldt versetzte ihm einen kräftigen Tritt ins
Kreuz und gleich darauf einen zweiten in die Rippen. Der
andere hatte jedoch im letzten Moment die Tür ver-
schließen und den Schlüssel durch den Briefschlitz schie-
ben können. Man hörte das Klirren auf dem Marmor der
Außentreppe. Ein dritter Tritt, diesmal gegen seinen
Kopf, gab ihm den Rest. Er sank bewusstlos zu Boden. Da
Anwaldt nun durch die Tür nicht mehr hinauskam, ha-
stete er die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dicht hin-
ter sich hörte er das schwere Keuchen seines fremdländi-
schen Verfolgers. Ein Schuss zerriss plötzlich die Luft,
und Anwaldt fühlte einen brennenden Schmerz am Ohr
und gleich darauf warmes Blut, das seinen Hals hinunter-
rann. (Verflucht, ich habe wieder meine Pistole nicht bei mir!) Er duckte sich im Lauf und riss eine der schweren Messingstangen heraus, die den purpurfarbenen Läufer
auf der Treppe hielten. Aus dem Augenwinkel bemerkte
er, dass sein Verfolger erneut auf ihn zielte. Der Knall er-tönte jedoch erst, als sich Anwaldt schon im ersten Stock
befand. Die Kugel streifte splitternd eine der Marmorsäu-
len und prallte in der Wandnische ab. Anwaldt stürzte
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auf eine Tür zu und war mit einem Satz im Haupttrep-
penhaus. Sein Verfolger war ihm dicht auf den Fersen.
Die nächsten Schüsse bohrten sich krachend in die Ke-
ramikfliesen der Wände. Anwaldt rannte blindlings wei-
ter. Ein Stockwerk tiefer, vor dem Haupteingang zur
Wohnung, stand ein verspäteter Gast. Hinter der schwar-
zen Maske standen seine steifen rötlichen Haare hervor.
Durch die Schüsse alarmiert, hatte auch er seinen Revol-
ver gezogen. Als er Anwaldts ansichtig wurde, rief er:
»Stehen bleiben, oder ich schieße!«, doch Anwaldt hatte
sich schon geduckt, ausgeholt und ihm die Teppichstange
mit aller Kraft entgegengeschleudert. Sie traf den Rothaa-
rigen an der Stirn, er stürzte zu Boden und gab noch zwei
Schüsse in die Luft ab. Von der Decke rieselte Staub und
zerbröckelter Putz. Anwaldt schnappte sich die Stange,
schwang sich über das Geländer und landete auf dem
nächsttieferen Treppenabsatz. Das ganze Haus hallte von
Schüssen wider. Anwaldt lief, stolperte, fiel hin, rappelte sich wieder auf, bis er endlich den letzten Treppenabsatz
erreicht hatte. Erschrocken prallte er zurück, als er sah, wie ihm vier Männer entgegenkamen, die mit riesigen
Schneeschaufeln bewaffnet waren. Anwaldt vermutete,
der Hauswart mit drei Kollegen habe sich der Jagd auf
ihn angeschlossen, er machte auf der Stelle kehrt und öff-
nete das Fenster zum Hof. Ohne zu zögern, sprang er
hinaus und landete direkt auf einem hier abgestellten
Droschkenwagen. Splitter des Holzes bohrten sich in sei-
ne Haut, ein durchdringender Schmerz durchzuckte sein
Fußgelenk. Humpelnd lief er über den engen Hof. Plötz-
lich ergoss sich aus allen Fenstern Licht – er wurde ange-
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strahlt wie auf einer Bühne. Das Knallen der Schüsse er-
schütterte den leeren Schacht des Hofes. Anwaldt drückte
sich an den Wänden entlang und versuchte durch eine
Hintertür in eines der Häuser zu gelangen, zwischen de-
nen er gefangen war. Aber alle waren verriegelt, und seine Verfolger kamen immer näher. Einige Stufen führten
zum Keller eines der Häuser, Anwaldt stolperte hinunter
und betete – wenn auch diese Kellertür verschlossen wä-
re, würden ihn seine Verfolger in dem Betonviereck des
Hofes leicht in eine Ecke drängen. Aber sie gab nach.
Anwaldt schlüpfte hinein und konnte sie im selben Mo-
ment verriegeln, in dem der erste Verfolger an der Klinke
rüttelte.
Der Gestank von faulenden Kartoffeln, fermentieren-
dem Wein und Rattenmist war der lieblichste Duft, den
Anwaldt sich vorstellen konnte. Er ließ sich zu Boden
sinken, wobei er sich den Rücken an der unverputzten
Ziegelwand aufschürfte. Dann befühlte er sein Ohr. Ein
heftiger Schauder ergriff ihn, dickflüssiges Blut tropfte
erneut seinen Hals hinab. Das verletzte Fußgelenk pul-
sierte schmerzhaft. An seiner Stirn, gleich unter dem
Haaransatz, wo die Zähne seines Angreifers ihre Spuren
hinterlassen hatten, konnte er einen gallertartigen Klum-
pen ertasten, der langsam fest wurde. Ihm war klar, dass
die Meute nur wenige Minuten benötigen würde, um in
den Wohnblock einzudringen, daher musste er sich beei-
len, aus dem Kellerlabyrinth zu entkommen.
Es war stockfinster, und so tastete er sich
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