Tod in Breslau
den
dunkelhaarigen Herrn bemerkte, der schon seit einer
ganzen Weile in der Tür stand und sich dann ein wenig
hastig auf einer Chaiselongue niederließ, von der sich ge-
rade ein Frauenpärchen auf den Boden hinuntergewälzt
hatte. Der Bedienstete tänzelte auf Anwaldt zu und fragte
mit seiner melodischen Stimme: »Hat der gnädige Herr
vielleicht einen Wunsch?«
»Ja. Ich war kurz auf der Toilette, und nun ist meine
Partnerin verschwunden!«
Der Diener runzelte die Stirn, dann flötete er:
»Kein Problem. Sie bekommen gleich eine neue.«
Vom Tierpark her drang ein strenger Geruch nach
Dung zum Fenster herein, und von Zeit zu Zeit konnte
man den Schrei eines der Tiere vernehmen, die von der
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langen Hitze überreizt waren. Aus der Oder dampfte
dichte Feuchtigkeit in die Luft.
Der Baron hatte den Knochen mittlerweile weggewor-
fen und mit einer Stripteasenummer begonnen. Die Mu-
siker steigerten die Spannung, mit immer wilderer Lei-
denschaft ließen sie die Bögen auf den Saiten tanzen. Als
der Baron vollkommen nackt war, heftete er sich einen
langen roten Bart an und setzte sich, wie König Nebu-
kadnezar eine hoch aufragende Mütze auf den Kopf. Ei-
nige Teilnehmer der Orgie waren bereits am Ende ihrer
Kräfte und glitten schweißüberströmt zu Boden. Andere
Paare und Gruppen versuchten weiterhin – vergeblich –,
mit den raffiniertesten Liebestechniken die Blicke der an-
deren auf sich zu ziehen. Anwaldt sah über all die Körper
hinweg, sein Blick traf den Nebukadnezars, der sich gera-
de ein schweres goldenes Gewand überwarf. (Ich sitze
wahrscheinlich da wie eine Kakerlake auf einem weißen
Tischtuch – als Einziger habe ich noch eine Hose an.) Nebukadnezar starrte ihn unverwandt an, während die
Streichinstrumente immer schrillere Klänge von sich ga-
ben, Frauen in geheuchelter Wollust seufzten und eksta-
tisch stöhnten.
Anwaldt wurde es unter dem aufmerksamen Blick des
Barons ungemütlich. Er beschloss, dem Drängen der bei-
den Lesbierinnen nachzugeben, die ihn schon seit einiger
Zeit zu sich herwinkten. Plötzlich jedoch tauchte Köpper-
lingks Diener wieder auf und zog eine beschwipste Pla-
tinblonde mit Samtmaske hinter sich her. Nebukadnezar
schien das Interesse an seinem Gast verloren zu haben.
Die junge Frau hockte sich neben Anwaldts Sofa, und er
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schloss die Augen. Doch seine Vorfreude erstarb jäh,
denn statt der erwarteten Berührung zarter Frauenlippen
fühlte er die groben, harten Hände eines Mannes, die ihn
brutal auf das Sofa niederdrückten. Ein dunkelhäutiger
Riese mit Hakennase hatte Anwaldts Bizeps gepackt und
presste ihn in die Polster. Neben ihm stand ein Diener
des Barons und hielt Anwaldts Smoking und einen Stapel
der schwarzen Einladungskärtchen in der Hand. Als der
Riese seinen Mund öffnete, entströmte ihm eine Wolke
üblen Tabakgestanks.
»Wie bist du hier reingekommen? Zeig deine Einla-
dung!« Es schien Anwaldt, als hätte er einen derartigen
Akzent schon einmal gehört, richtig, bei einem Verhör
eines türkischen Restaurateurs in Berlin, der in eine Ge-
schichte verwickelt war, bei der es um Opiumschmuggel
ging. Aber weniger der feste Griff des Mannes ließ ihn für einen Moment erstarren, sondern der Anblick einer
merkwürdigen Tätowierung auf dessen Hand. Durch den
eisernen Druck, den er auf Anwaldts Oberkörper ausüb-
te, trat zwischen Zeigefinger und Daumen ein zuckender
runder Muskel hervor. Dieses Zucken ließ den sorgfältig
tätowierten Skorpion beinahe lebendig erscheinen. Um
sein Opfer endgültig bewegungsunfähig zu machen, hob
der Mann ein Bein und wollte sich rittlings auf den Poli-
zisten setzen. Doch Anwaldt hatte seinerseits rasch aus-
geholt und stieß dem Riesen mit aller Kraft das Knie in
seine empfindlichste Stelle. Mit einem Aufschrei riss der
Mann seine Hände von Anwaldts Schultern, dieser er-
langte teilweise seine Bewegungsfreiheit wieder, richtete
sich ruckartig auf und traf sein Opfer mit der Stirn im
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Gesicht. Er fühlte etwas Feuchtes in seinen Augenbrauen,
der Tätowierte verlor das Gleichgewicht und kippte vom
Sofa. Anwaldt stürzte sofort zum Ausgang. Keinen der
Anwesenden schien die kurze Rauferei zu interessieren,
das Quartett fiedelte ein rasendes Rondo, die Gäste
schienen in einen trunkenen Taumel gefallen zu sein.
Das einzige Hindernis, das Anwaldt zu überwinden
hatte, war der Diener, der sich aus dem Saal geschlichen
hatte und gerade
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