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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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den
    dunkelhaarigen Herrn bemerkte, der schon seit einer
    ganzen Weile in der Tür stand und sich dann ein wenig
    hastig auf einer Chaiselongue niederließ, von der sich ge-
    rade ein Frauenpärchen auf den Boden hinuntergewälzt
    hatte. Der Bedienstete tänzelte auf Anwaldt zu und fragte
    mit seiner melodischen Stimme: »Hat der gnädige Herr
    vielleicht einen Wunsch?«
    »Ja. Ich war kurz auf der Toilette, und nun ist meine
    Partnerin verschwunden!«
    Der Diener runzelte die Stirn, dann flötete er:
    »Kein Problem. Sie bekommen gleich eine neue.«
    Vom Tierpark her drang ein strenger Geruch nach
    Dung zum Fenster herein, und von Zeit zu Zeit konnte
    man den Schrei eines der Tiere vernehmen, die von der
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    langen Hitze überreizt waren. Aus der Oder dampfte
    dichte Feuchtigkeit in die Luft.
    Der Baron hatte den Knochen mittlerweile weggewor-
    fen und mit einer Stripteasenummer begonnen. Die Mu-
    siker steigerten die Spannung, mit immer wilderer Lei-
    denschaft ließen sie die Bögen auf den Saiten tanzen. Als
    der Baron vollkommen nackt war, heftete er sich einen
    langen roten Bart an und setzte sich, wie König Nebu-
    kadnezar eine hoch aufragende Mütze auf den Kopf. Ei-
    nige Teilnehmer der Orgie waren bereits am Ende ihrer
    Kräfte und glitten schweißüberströmt zu Boden. Andere
    Paare und Gruppen versuchten weiterhin – vergeblich –,
    mit den raffiniertesten Liebestechniken die Blicke der an-
    deren auf sich zu ziehen. Anwaldt sah über all die Körper
    hinweg, sein Blick traf den Nebukadnezars, der sich gera-
    de ein schweres goldenes Gewand überwarf. (Ich sitze
    wahrscheinlich da wie eine Kakerlake auf einem weißen
    Tischtuch – als Einziger habe ich noch eine Hose an.) Nebukadnezar starrte ihn unverwandt an, während die
    Streichinstrumente immer schrillere Klänge von sich ga-
    ben, Frauen in geheuchelter Wollust seufzten und eksta-
    tisch stöhnten.
    Anwaldt wurde es unter dem aufmerksamen Blick des
    Barons ungemütlich. Er beschloss, dem Drängen der bei-
    den Lesbierinnen nachzugeben, die ihn schon seit einiger
    Zeit zu sich herwinkten. Plötzlich jedoch tauchte Köpper-
    lingks Diener wieder auf und zog eine beschwipste Pla-
    tinblonde mit Samtmaske hinter sich her. Nebukadnezar
    schien das Interesse an seinem Gast verloren zu haben.
    Die junge Frau hockte sich neben Anwaldts Sofa, und er
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    schloss die Augen. Doch seine Vorfreude erstarb jäh,
    denn statt der erwarteten Berührung zarter Frauenlippen
    fühlte er die groben, harten Hände eines Mannes, die ihn
    brutal auf das Sofa niederdrückten. Ein dunkelhäutiger
    Riese mit Hakennase hatte Anwaldts Bizeps gepackt und
    presste ihn in die Polster. Neben ihm stand ein Diener
    des Barons und hielt Anwaldts Smoking und einen Stapel
    der schwarzen Einladungskärtchen in der Hand. Als der
    Riese seinen Mund öffnete, entströmte ihm eine Wolke
    üblen Tabakgestanks.
    »Wie bist du hier reingekommen? Zeig deine Einla-
    dung!« Es schien Anwaldt, als hätte er einen derartigen
    Akzent schon einmal gehört, richtig, bei einem Verhör
    eines türkischen Restaurateurs in Berlin, der in eine Ge-
    schichte verwickelt war, bei der es um Opiumschmuggel
    ging. Aber weniger der feste Griff des Mannes ließ ihn für einen Moment erstarren, sondern der Anblick einer
    merkwürdigen Tätowierung auf dessen Hand. Durch den
    eisernen Druck, den er auf Anwaldts Oberkörper ausüb-
    te, trat zwischen Zeigefinger und Daumen ein zuckender
    runder Muskel hervor. Dieses Zucken ließ den sorgfältig
    tätowierten Skorpion beinahe lebendig erscheinen. Um
    sein Opfer endgültig bewegungsunfähig zu machen, hob
    der Mann ein Bein und wollte sich rittlings auf den Poli-
    zisten setzen. Doch Anwaldt hatte seinerseits rasch aus-
    geholt und stieß dem Riesen mit aller Kraft das Knie in
    seine empfindlichste Stelle. Mit einem Aufschrei riss der
    Mann seine Hände von Anwaldts Schultern, dieser er-
    langte teilweise seine Bewegungsfreiheit wieder, richtete
    sich ruckartig auf und traf sein Opfer mit der Stirn im
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    Gesicht. Er fühlte etwas Feuchtes in seinen Augenbrauen,
    der Tätowierte verlor das Gleichgewicht und kippte vom
    Sofa. Anwaldt stürzte sofort zum Ausgang. Keinen der
    Anwesenden schien die kurze Rauferei zu interessieren,
    das Quartett fiedelte ein rasendes Rondo, die Gäste
    schienen in einen trunkenen Taumel gefallen zu sein.
    Das einzige Hindernis, das Anwaldt zu überwinden
    hatte, war der Diener, der sich aus dem Saal geschlichen
    hatte und gerade

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