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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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blind vor-
    wärts. Er scheuchte unzählige Ratten auf, über sein Ge-
    sicht legten sich ganze Schleier von Spinnweben. Anwaldt
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    hatte sein Zeitgefühl verloren, eine bleierne Müdigkeit
    hatte ihn erfasst. Erst als er einen schwachen Licht-
    schimmer in der Ferne ausmachte, konnte er seine letzten
    Kräfte aufbringen. Es war der Schein einer Straßenlater-
    ne, der durch ein völlig verstaubtes Fenster drang, das
    Anwaldt nur mit Mühe erreichte. Die kleine Luke ließ
    sich öffnen, und nach einigen vergeblichen Versuchen
    gelang es ihm, sich nach draußen zu zwängen, wobei er
    sich die Haut an den Rippen aufschrammte. Dann ver-
    suchte er sich zu orientieren. Eine dichte Hecke trennte
    ihn von Bürgersteig und Straße, dahinter konnte er dann
    und wann die Schritte einiger Passanten hören. Er legte
    sich auf den schmalen Rasenstreifen und atmete schwer.
    Am liebsten wäre er gleich hier liegen geblieben, um ein
    paar Stunden abzuwarten. Doch dann erspähte er ein idea-
    les Versteck. Das Balkongeländer der Parterrewohnung
    war mit wildem Wein überwuchert, dessen Ranken bis
    zur Erde herabhingen. Hinter diesen Vorhang aus Blät-
    tern zog sich Anwaldt mit letzter Kraft, bevor er fühlte,
    wie er das Bewusstsein verlor.
    Die Feuchtigkeit der Erde und die Stille ringsum ließen
    ihn wieder zu sich kommen. Anwaldt stand ächzend auf
    und schlich sich verstohlen im Schatten der Bäume ent-
    lang der Oderpromenade zu seinem Wagen, den er vor
    der Technischen Hochschule geparkt hatte. Er konnte
    kaum fahren. Der ganze Körper schmerzte, und sein Ge-
    sicht war blutüberströmt. Als er die Treppe zu seiner
    Wohnung hinaufstieg, musste er sich am Geländer fest-
    klammern, um nicht zu stürzen. Er verzichtete darauf, in
    der Küche Licht zu machen, er wollte heute auf keinen
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    Fall auch nur einer einzigen Kakerlake begegnen. Nach-
    dem er ein Glas Wasser hinuntergestürzt hatte, riss er
    sich die ruinierten Smokinghosen vom Leib, öffnete das
    Fenster und ließ sich schwer auf sein zerwühltes Bettzeug
    fallen.

    Breslau, 10. Juli 1934.
    Neun Uhr morgens

    Als Anwaldt aufwachte, konnte er kaum seinen Kopf vom
    Kissen heben, da sich das geronnene Blut fest mit dem
    Bezug verbunden hatte. Es kostete ihn große Anstren-
    gung, sich aufzusetzen. Von seinem Kopf standen ver-
    klebte Haarbüschel ab, der ganze Oberkörper war mit
    Hautabschürfungen und Blutergüssen übersät, das Fuß-
    gelenk schmerzte und der geschwollene Knöchel hatte in-
    zwischen eine violette Farbe angenommen. Auf einem
    Bein hüpfte er zum Telefon und wählte Baron von der
    Maltens Nummer.
    Es dauerte nur eine Viertelstunde, bis Doktor Lanz-
    mann, der Hausarzt des Barons, bei Anwaldt war. Und
    nach weiteren fünfzehn Minuten befanden sich beide in
    der Residenz der von der Maltens. Vier Stunden später,
    ausgeschlafen, mit einem Verband um den Kopf und Jod-
    flecken am ganzen Körper, den verstauchten Fuß mit ei-
    nigen Bambusstangen provisorisch geschient, schilderte
    Anwaldt seinem Auftraggeber den Hergang des Festes
    vom Vortag. Dazu rauchte er eine exquisite, lange »Ah-
    nuri Shu«. Als sich der Baron nach dem Bericht in sein
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    Arbeitszimmer zurückzog, telefonierte Anwaldt mit dem
    Polizeipräsidium und bat Kurt Smolorz, ihm bis sechs
    Uhr abends alle Unterlagen über Baron von Köpperlingk
    zusammenzustellen. Der Nächste, den er anrief, war Pro-
    fessor Andreae. Er verabredete sich mit ihm zu einer Un-
    terredung.
    Von der Maltens Chauffeur half Anwaldt die Treppe
    hinunter ins Auto. Auf ihrem Weg durch die Stadt er-
    kundigte sich Anwaldt interessiert nach fast jedem Ge-
    bäude und jeder Straße, durch die sie fuhren, und der
    Chauffeur antwortete geduldig:
    »letzt sind wir in der Hohenzollernstraße … links se-
    hen Sie den Wasserturm … rechts die St.-Johannes-
    Kirche … Ja, die finde ich auch sehr schön. Sie ist erst vor kurzem gebaut worden … Hier ist das Rondell. Der
    Reichspräsidentenplatz. Wir sind immer noch auf der
    Hohenzollernstraße … So, und jetzt biegen wir in die
    Gabitzstraße ein. Kennen Sie die Gegend schon ein we-
    nig? Nur noch unter dem Viadukt hindurch, dann sind
    wir schon in der Zietenstraße …«
    Es war eine angenehme Fahrt in dem kühlen Auto.
    Wie schön Breslau war! Leider hatte Anwaldts Adler seit
    dem Morgen in der prallen Sonne gestanden, und es
    herrschte darin eine wahre Glut. Sobald er sich hinter das Steuer gesetzt hatte, brach ihm der Schweiß aus und
    durchnässte Hemd und

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