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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Jackett. Er ließ das Fenster he-
    runter, warf seinen Hut auf den Rücksitz und fuhr mit
    quietschenden Reifen an, in der vergeblichen Hoffnung,
    dass der Fahrtwind ein wenig Kühlung brächte. Stattdes-
    sen füllten sich seine Lungen mit trockenem Staub. Und
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    als er sich eine Zigarette anzündete, trocknete sein Mund
    vollends aus.
    Er folgte den Anweisungen des Fahrers von Baron von
    der Malten und erreichte ohne Schwierigkeiten das Ge-
    bäude des Orientalistikinstituts an der Schmiedebrücke
    35, wo Professor Andreae schon auf ihn wartete. Der Pro-
    fessor hörte aufmerksam zu, als Anwaldt den Akzent sei-
    nes gestrigen Angreifers beschrieb. Auch wenn dessen
    Äußerung, die der Polizist einige Male wiederholte, (Wie bist du hier reingekommen? Zeig deine Einladung!) recht kurz gewesen war, hatte der Professor keine Zweifel. Der
    Ausländer auf dem Ball des Barons war offenbar ein Tür-
    ke. Anwaldt freute sich über seine sprachliche Intuition,
    verabschiedete sich und fuhr ins Polizeipräsidium. Am
    Eingang traf er auf Forstner. Sein Blick blieb am zer-
    schmetterten Brauenbogen des Kollegen hängen, und
    dieser starrte unverhohlen die bandagierte Stirn An-
    waldts an. Sie grüßten einander mit gespielter Gleichgül-
    tigkeit.
    »Ich sehe, Sie haben den gestrigen Abend nicht bei der
    Versammlung der Heilsarmee am Blücherplatz ver-
    bracht!« Smolorz lachte beim Anblick Anwaldts.
    »Ach, das ist nichts weiter, ich hatte einen kleinen Un-
    fall.« Anwaldt warf einen Blick auf den Schreibtisch. Dort lag von Köpperlingks Akte. Sie war nicht besonders dick.
    »Die Akte aus dem Gestapo-Archiv ist sicher umfang-
    reicher. Aber da muss man Beziehungen haben, um
    dranzukommen …« Smolorz wischte sich mit seinem ka-
    rierten Taschentuch über die schweißbedeckte Stirn.
    »Danke, Smolorz! Ach …« Anwaldt rieb sich nervös
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    die Nase. »Dürfte ich Sie noch um etwas bitten? Ich
    bräuchte bis morgen eine Liste aller Türken, die in den
    letzten anderthalb Jahren in Breslau gelebt haben. Gibt es hier ein türkisches Konsulat?«
    »Ja, in der Neudorffstraße.«
    »Dort wird man Ihnen gewiss helfen. Ich danke Ihnen
    einstweilen, Sie können gehen.«
    Anwaldt blieb allein in seinem Arbeitszimmer zurück
    und legte die Stirn auf die kühle Tischplatte: Er fühlte,
    dass sich seine Stimmung dem Tiefpunkt näherte und
    dass es eine Krise zu überwinden galt. Es wurde ihm be-
    wusst, dass er anders als die anderen auf das unbarmher-
    zige Klima reagierte: Die bis zum Wahnsinn aufgeheizte
    Welt da draußen rief bei ihm Aktivität und Einsatzbereit-
    schaft hervor – das kühle Arbeitszimmer hingegen Resi-
    gnation. (Die anderen, das sind Mikrokosmen, die sich in Übereinstimmung mit der Bewegung des ganzen Universums befinden – nicht so wie ich. Hat man mir das nicht schon seit meiner Kindheit eingebläut? Ich bin mein eigenes einsames Universum, dessen Schwerkraft alles zu blei-ernen, dichten Klumpen zusammenballt.)
    Mit einem Ruck stand er auf, zog sein Hemd aus und
    trat ans Waschbecken. Der Schmerz nahm ihm fast den
    Atem, als er sich vorsichtig Nacken und Oberkörper
    wusch. Anwaldt ließ das Wasser in kleinen Bächen über
    seinen verletzten Brustkorb rinnen, Gesicht und Hände
    trocknete er an seinem Unterhemd ab. (Raff dich auf!
    Handele endlich!) Er nahm den Hörer ab und trug dem Laufburschen auf, Zigaretten und Limonade zu besorgen.
    Dann schloss er die Augen und versuchte das Chaos der
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    Bilder in seinem Kopf zu ordnen. Langsam gelang es ihm,
    und bald konnte er verschiedene nebeneinander stellen:
    »Die Skorpione im Bauch der Baronesse Marietta von der
    Malten. Der Skorpion auf der Hand des Türken. Der
    Türke hat Marietta umgebracht.« Dieser Schluss freute
    Anwaldt besonders, weil er auf der Hand lag und gleich-
    zeitig das Spektrum all der Aktivitäten, die ihn nicht zu
    seinem Ziel führten, einschränkte. (Der Türke hat die Baronesse ermordet, der Türke ist einer der Wächter im Hause des Barons Köpperlingk, der Baron wird von der Gesta-po gedeckt, ergo hat der Türke etwas mit der Gestapo zu tun, ergo ist die Gestapo auf irgendeine Art in den Mord verwickelt. Und der Gestapo gegenüber bin ich schwach
    und ohnmächtig wie ein Kind.)
    Es klopfte an der Tür. Dann mit Nachdruck ein zweites
    Mal. Der Laufbursche brachte ein paar Limonadeflaschen
    und zwei Päckchen starker Zigaretten – »Bergmann Pri-
    vat«. Anwaldt rauchte und fühlte für einen kurzen Mo-
    ment einen angenehmen

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