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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Limo-
    nade.« Als Elsa hinausgegangen war, streckte er seinen
    Kopf aus dem Fenster, aber die Hitze half nicht, die Flut
    von Erinnerungen zu vertreiben. (Das Mädchen ist Ihnen wohl bekannt, Anwaldt? Er hatte wütend die Zimmertür
    eingetreten. Der Bankier Schmetterling versuchte, die Augen vor den Blitzlichtern zu schützen. Er zerrte die Decke über seinen Kopf.)
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    »Bitte sehr. Ihre Limonade.« Das Mädchen lächelte
    den Polizisten schüchtern an. »Haben Sie noch irgend-
    welche besonderen Wünsche? Ich werde sie gerne erfül-
    len …« (Der Körper von Schmetterling war wie gelähmt,
    während er sie noch umarmte. Sein fetter Körper zitterte, der des Mädchens wand sich. Der dicke Bankier und Anwaldts Verlobte Erna Stange: untrennbar miteinander verschlungen.)
    Anwaldt stand auf und trat zu Erna Stange, die ihn
    noch immer anlächelte, verpasste ihr eine kräftige Ohr-
    feige, sodass sich ihre grünen Augen mit Tränen füllten.
    Noch auf der Treppe hörte er ihr ersticktes Schluchzen.
    Ein Ausspruch Coleridges, den Anwaldt einmal gelesen
    hatte, wirbelte in einem fort in seinem Kopf herum:
    »Wenn der Mensch seine Gedanken für Personen und
    Dinge hält, ist er wahnsinnig. Ebendas ist die Definition
    von Wahnsinn.«

    Breslau, 9. Juli 1934.
    Ein Uhr nachmittags

    Anwaldt saß in seinem Arbeitszimmer im Polizeipräsidi-
    um, genoss die Kühle des Raums und wartete auf einen
    Anruf von Wachtmeister Kurt Smolorz, dem einzigen
    Mitarbeiter, dem man – so Mock – trauen konnte. Das
    kleine Fenster unter der Decke ging nach Norden auf ei-
    nen der fünf Hinterhöfe des Polizeigebäudes hinaus. An-
    waldt legte den Kopf auf den Schreibtisch und fiel wie be-
    täubt in einen Schlummer. Erst als Smolorz etwa eine
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    Viertelstunde später persönlich bei ihm erschien,
    schreckte er auf.
    »Ich habe hier einen Smoking und eine Maske für Sie.«
    Smolorz lächelte wohlwollend. »Und dann noch eine
    wichtige Information: Der schwarze Mercedes, dessen
    Autonummer ich überprüfen sollte, gehört Baron Wil-
    helm von Köpperlingk.«
    »Danke. Mock hat nicht übertrieben, als er mir Ihre
    Qualitäten geschildert hat! Aber wie, in Dreiteufelsna-
    men, haben Sie das hier nur aufgetrieben?« Anwaldt zeig-
    te auf die schwarze Samtmaske.
    Anstelle einer Antwort legte Smolorz den Zeigefinger
    an die Lippen und verließ das Büro. Anwaldt zündete
    sich eine Zigarre an. Er faltete die Hände im Nacken und
    streckte den ganzen Körper. Alles hatte sich zu einem
    einheitlichen Bild zusammengefügt. Baron von Köpper-
    lingk hatte die kühnsten Träume von Maass in Erfüllung
    gehen lassen, indem er ihm eine hübsche Gymnasiastin
    zuführte. »Woher hat Köpperlingk seine Phantasien ge-
    kannt?«, schrieb Anwaldt auf einen Zettel. (Offensichtlich.
    Maass macht nie einen Hehl aus seinen Vorlieben. Erst gestern im Park hat er das lautstark unter Beweis gestellt.)
    »Wozu?« Die Feder kratzte erneut über das Papier. (Um
    Maass in der Hand zu haben und um indirekt meine
    Fahndung zu kontrollieren.)
    »Warum?«, kritzelte er als Nächstes auf das Papier.
    Anwaldt rief sich einige Zeilen aus Mocks Brief wieder
    ins Gedächtnis.
    »… Zwar hat der verstorbene SA-Hauptsturmführer
    Walter Piontek mit großem Eifer die von Baron Wilhelm
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    von Köpperlingk gelegte Fährte verfolgt (nebenbei be-
    merkt: Letzterer hat viele Freunde bei der Gestapo), …
    Wenn nämlich jemand den wahren Mörder fände, würde
    die ganze groß angelegte Propagandaaktion in der engli-
    schen und französischen Presse der Lächerlichkeit preis-
    gegeben. Ich möchte Sie vor diesen Menschen warnen –
    sie sind für ihre Rücksichtslosigkeit bekannt und könnten
    Sie jederzeit dazu zwingen, die begonnene Fahndung auf-
    zugeben.«
    Anwaldt fühlte eine Welle des Stolzes. Er hielt die
    Maske vor sein Gesicht. »Wenn die Gestapo den wirkli-
    chen Zweck meiner Ermittlungen erfährt, wird sie diese
    sicher einstellen lassen – aus Furcht vor dem Gelächter in Frankreich und England«, murmelte er und trat vor den
    kleinen Spiegel. »Es scheint mir jedoch, dass die Gestapo
    aus ganz anderen Gründen daran interessiert ist, dass ich
    meine Ermittlungen abbreche.« Die Maske verdeckte ei-
    nen gut Teil seines Gesichts. Er zog eine Grimasse.
    »Vielleicht treffe ich sie alle auf dem Ball des Barons«,
    sagte er halblaut. »Also auf zum Ball, Herr Assistent!«

    Breslau, 9. Juli 1934.
    Halb acht Uhr abends

    Es kostete Anwaldt keine Mühe, den Wächter des

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