Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
landwirtschaftliche Werkzeuge, Kleidung, Geschirr, Schuhe – und Käse, Olluco-Knollen, Bohnen, Früchte oder Stoffe und Porongokürbisse kaufte, die er dann in die Städte brachte. Don Pericles war überdies ein geschickter Mechaniker, und an seiner Seite lernte Casimiro die Geheimnisse des Lastautos in- und auswendig kennen; bald war er imstande, es jedesmal zu reparieren, wenn es auf den grauenhaften Wegen des Hochlands auseinanderfiel, was mehrmals bei jeder Reise geschah.
    An der Seite von Don Pericles war er vollkommen glücklich. Der alte Händler begeisterte ihn mit Geschichten aus seinem abenteuerlichen Leben als unbußfertiger Hahn in fremden Hühnerhöfen, einemLeben voller verführter, geschwängerter und verlassener Frauen in unzählbaren Distrikten, Bezirken und Ortschaften von Apurímac, Huancavelica, Ayacucho, Cusco und Cerro de Pasco, Departements, so brüstete er sich, »die ich mit männlichen und weiblichen Wechselbalgen von meinem Blut übersät habe«. Einige zeigte er Casimiro im Verlauf ihrer Reisen, mit schelmischem Augenzwinkern. Viele von ihnen grüßten den Händler respektvoll, küßten ihm die Hand und nannten ihn ›Pate‹.
    Was dem Jungen jedoch am meisten gefiel, war das plan- und ziellose Leben unter freiem Himmel, das bestimmt wurde von den Unbilden oder den Freundlichkeiten der Witterung, von den Märkten und den Festen der Schutzpatrone, von den Aufträgen, die sie erhielten, und von den Zipperlein des kleinen Lastautos, Umstände, die über ihr tägliches Ziel, ihre Routen, die Nächte entschieden, die sie in jedem Ort verbrachten. Don Pericles besaß ein solides Haus ohne Räder in einer quinta in Pampas, das er mit einer verheirateten Nichte und deren Kindern teilte. Wenn sie dort waren, wohnte Casimiro im Haus, als gehörte er zur Familie. Aber die meiste Zeit lebte er im Lastauto, in dem er sich zwischen der Ladung und geschützt durch eine dicke Plane einen Schlupfwinkel aus Kuhfellen errichtet hatte. Wenn es regnete, schlief er im Fahrerhäuschen oder unter dem Auto.
    Das Geschäft war keine große Sache, zumindest nicht für Pericles und Casimiro, denn den ganzen Gewinnschluckte das Lastauto, für das man ständig Ersatzteile kaufen und dessen Reifen man neu mit Gummi überziehen mußte, aber es reichte ihnen zum Leben. In den Jahren, die er mit Don Pericles verbrachte, lernte Casimiro die gesamten mittleren Anden, ihre kleinen Nester, ihre Indiogemeinschaften, ihre Märkte, ihre Abgründe und Täler wie seine Westentasche kennen, ebenso die Geheimnisse des Geschäfts: wo man den besten Mais kaufte und wohin man Nadel und Faden brachte, wo Lampen und Webstoffe wie eine Himmelsgabe erwartet wurden und welche Bänder, Broschen, Halsketten und Armreifen in unwiderstehlicher Weise das Verlangen der Mädchen weckten.
    Don Pericles behandelte ihn am Anfang wie einen Lehrling, dann wie einen Sohn, schließlich wie einen Teilhaber. In dem Maße, wie er älter und aus dem Jungen ein Mann wurde, verlagerte sich das Gewicht der Arbeit auf diesen, bis Don Pericles sich nach einigen Jahren – Casimiro war bereits der einzige, der das Auto fuhr und über die Käufe und Verkäufe entschied – mit dem Posten eines technischen Direktors des Unternehmens begnügte.
    Als der alte Mann den Schlaganfall bekam, in dessen Folge er gelähmt blieb und die Sprache verlor, befanden sie sich zum Glück gerade in Pampas. So konnten sie ihn ins Krankenhaus bringen und ihn vor dem Tod retten. Aber Don Pericles konnte nicht mehr reisen, und Casimiro mußte dies fortan allein tun. Erfuhr eine Zeitlang weiter mit dem unverwüstlichen kleinen Lastauto herum, bis er es eines Tages aufgeben mußte, weil Don Pericles’ Nichte und deren Kinder ihm für das Recht, es weiter zu benutzen, völlig irreale Summen abforderten. Er übergab ihnen also das Fahrzeug, und obwohl er Don Pericles bis zu dessen Tod regelmäßig besuchte, wobei er ihm jedesmal, wenn er nach Pampas kam, ein kleines Geschenk mitbrachte, war fortan er Herr und Meister des Geschäfts. Er war ein kräftiger, gewitzter Bursche, der überall Freunde hatte und Spaß an der Arbeit und am Leben fand. Er konnte ganze Nächte hindurch auf den Dorffesten trinken und tanzen, die Scherze der Betrunkenen über sein gelbes Haar parieren und am nächsten Morgen seinen Stand auf dem Markt vor jedem anderen Händler öffnen. Er hatte das Lastauto durch einen Lieferwagen aus dritter Hand ersetzt, den er einem Bauern aus Huancayo abgekauft hatte, dem er

Weitere Kostenlose Bücher