Tod in den Anden
pünktlich die monatlichen Raten bezahlte.
Einmal, als er bunte Schnallen und Ohrringe in einer kleinen Ortschaft in Andahuaylas verkaufte, sah er ein Mädchen, das darauf zu warten schien, allein mit ihm sprechen zu können. Sie war jung, trug Zöpfe, hatte ein frisches Gesicht und wirkte verängstigt wie ein kleines Tier. Ihm schien, daß er sie nicht zum ersten Mal sah. In einem Augenblick, da keine Kunden da waren, trat das Mädchen an die Ladefläche des Lieferwagens heran, auf der Casimiro saß.
»Ich weiß schon«, sagte er lachend. »Du willst eine dieser Broschen und hast kein Geld.«
Sie schüttelte verwirrt den Kopf.
»Du hast mich schwanger gemacht, papay «, sagte sie leise in Quechua, die Augen zu Boden gesenkt. »Erinnerst du dich vielleicht nicht an mich?«
Casimiro konnte sich nebelhaft an etwas erinnern. War sie das kleine Mädchen, das auf dem Fest des Erzengels Gabriel zu ihm in den Lieferwagen gestiegen war? Aber an dem Tag hatte er viel Chicha getrunken, und er war sich nicht sicher, daß dieses Gesicht das gleiche wie das verschwommene seiner Erinnerung war.
»Und wer sagt, daß ich es war?« antwortete er unfreundlich. »Mit wie vielen bist du denn bei diesem Fest mitgegangen? Glaubst du, du kannst mich als Hahnrei schnappen? Daß ich mir ein Kind von wer weiß wem aufladen lasse?«
Er konnte nicht weiter auf das Mädchen einschreien, weil es davongelaufen war. Casimiro erinnerte sich, daß Don Pericles in derartigen Fällen riet, sich ans Steuer zu setzen und loszufahren. Aber ein paar Stunden später, als er sein Geschäft geschlossen hatte, begann er den Ort nach allen Seiten zu durchstreifen, auf der Suche nach dem Mädchen. Er fühlte Unbehagen und Lust, seinen Frieden mit ihr zu machen.
Er fand sie unterwegs, am Ortsausgang, auf einer Allee mit Weiden und Nopalbäumen, die vom lauten Quaken der Frösche erfüllt war. Sie war auf dem Weg zurück in ihr Dorf und tief verletzt. Schließlich konnte Casimiro sie besänftigen, überredete sie, in den Lieferwagenzu steigen, und brachte sie bis in die Nähe der Gemeinschaft, in der sie lebte. Er tröstete sie, so gut er konnte, und gab ihr ein wenig Geld, mit dem Rat, sich an eine dieser Hebammen zu wenden, die auch Abtreibungen vornehmen. Sie nickte mit feuchten Augen. Sie hieß Asunta, und als er sie nach ihrem Alter fragte, sagte sie achtzehn, aber er schätzte, daß sie sich älter machte.
Einen Monat später kam er wieder dort vorbei und fragte sich zum Haus des Mädchens durch. Sie lebte mit ihren Eltern und einem Schwarm von Geschwistern, die ihn abweisend, voll Mißtrauen empfingen. Der Vater, Besitzer eines eigenen Stück Landes innerhalb der Gemeinschaft, war Leiter der Festlichkeiten gewesen. Er verstand Spanisch, obwohl er auf Casimiros Fragen in Quechua antwortete. Asunta hatte niemanden gefunden, der ihr diese Kräutersude geben konnte, aber sie sagte Huarcaya, er brauche sich keine Sorgen zu machen. Ihre Paten, die in einem Nachbarbezirk lebten, hatten ihr gesagt, sie solle das Kind ruhig bekommen und wenn man sie aus dem Haus werfen sollte, könne sie bei ihnen wohnen. Sie schien sich mit ihrem Schicksal abzufinden. Beim Abschied schenkte Casimiro ihr ein Paar halbhohe Schuhe und einen geblümten Schal, für die sie ihm dankte, indem sie ihm die Hand küßte.
Als er das nächste Mal durch den Ort kam, war Asunta nicht mehr da, und die Familie wollte nicht über sie sprechen. Der Vater empfing ihn noch mürrischerals beim ersten Besuch und sagte ihm geradeheraus, er solle nicht mehr wiederkommen. Niemand wußte oder wollte ihm sagen, wo die Paten von Asunta lebten. Casimiro sagte sich, daß er für dieses Mädchen alles getan habe, was in seinen Kräften stand, und daß er sich nicht länger den Schlaf rauben lassen mußte. Sollte er ihr wieder begegnen, würde er ihr helfen.
Aber sein Leben war nicht mehr das, was es gewesen war. Mit einem Mal wurden diese Wege, diese Gebirgszüge, diese Dörfer, die er so viele Jahre mit Don Pericles und dann allein abgeklappert hatte, ohne je mehr befürchten zu müssen, als eine Reifenpanne zu haben oder auf den schlechten Wegen steckenzubleiben, immer gefährlicher. Casimiro sah nun gesprengte Hochspannungsmasten und Brücken, von Felsblöcken und Baumstämmen versperrte Wege, drohende Inschriften und rote Stoffetzen auf den Bergen. Und bewaffnete Gruppen, denen er immer etwas von dem geben mußte, was er mit sich führte: Kleidungsstücke, Lebensmittel, Messer und Macheten. Auf
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