Tod in den Anden
Stümper«, urteilte Lituma. »Sogar ich, der ich ebenfalls ein Stümper bin, hätte was gerochen.«
»Sie waren halbtot vor Müdigkeit, Herr Korporal.«
Carreño zündete ein Streichholz an, das der Wind löschte. Er zündete ein zweites an, zusammengeduckt, um die Flamme mit seinem Körper zu schützen – alle seine Sinne waren gespannt, wie ein wildes Tier kurz vor dem Angriff –, während er hörte, wie die ewigjammernde Dame den Fahrer bat, er möge die Tür schließen. Dann näherte er das Streichholz dem Mund, von dem die Zigarette herabhing. Als statt der Flamme der Revolverlauf gegen seine Zähne stieß, erstarrte der Polizist.
»Kein Laut, keine Bewegung«, befahl ihm Tomás. »Ich sag es zu deinem Besten.«
Er hielt seine Augen auf den Mann geheftet, der jetzt den Mund öffnete – die Zigarette fiel zu Boden –, und nahm ihm mit der freien Hand sanft die Maschinenpistole ab, aber mit den Ohren war er bei dem, was im Auto geschah, und wartete darauf, daß der Fahrer oder einer der Fahrgäste einen Schrei ausstoßen würde, der den Polizisten des Postens warnen könnte.
»Aber er hörte nichts, weil die schläfrigen Fahrgäste nicht einmal merkten, was passierte«, deklamierte Lituma. »Du siehst, ich errate alles. Weißt du, warum? Weil ich in meinem Leben viele Filme gesehen habe und sämtliche Tricks kenne.«
»Hände hoch«, befahl er mit lauter Stimme, von der Schwelle her. Er zielte mit seinem Revolver auf den Polizisten, der an dem kleinen Tisch saß, und mit der Maschinenpistole auf den Schädel desjenigen, der vor ihm stand. Er benutzte ihn als Schild. Er hörte, wie Mercedes einen kleinen Schrei ausstieß, aber er schaute sie nicht an, da seine ganze Aufmerksamkeit dem Mann am Tisch galt. Nach einem Moment der Überraschung hob dieser die Hände. Er schaute ihn an. Er zwinkerte, verwirrt.
»Ich hab zu Mercedes gesagt: ›Nimm die Maschinenpistole‹«, erinnerte sich Carreño. »Aber sie war halbtot vor Angst und rührte sich nicht. Ich mußte ihr den Befehl laut schreiend wiederholen.«
»Hat sie sich nicht vielleicht auch in diesem Augenblick in die Hosen gepinkelt?«
Dieses Mal ergriff sie mit beiden Händen die Waffe, die der Polizist auf dem Tisch abgelegt hatte.
»Ich habe sie beide gegen die Wand gestellt, die Hände auf dem Kopf«, fuhr der Junge fort. »Sie hätten gestaunt, wie folgsam die waren, Herr Korporal. Sie ließen sich durchsuchen, die Pistolen abnehmen und aneinander fesseln, ohne zu mucksen.«
Erst als Tomás und Mercedes gingen, wagte einer der beiden zu murren:
»Du wirst nicht sehr weit kommen, mein Freund.«
»Und du bist nicht weit gekommen«, sagte Lituma.
»Ich schlafe jetzt, Tomasito, ich bin müde, und deine Geschichte hat mich gelangweilt.«
»Ich habe Waffen genug, um mich zu verteidigen«, schnitt ihm Carreño das Wort ab.
»Was ist hier los?« sagte hinter ihm der Fahrer.
»Nichts, nichts, es geht schon weiter.«
»Was heißt hier nichts?« hörte er ihn ausrufen. »Aber, wer sind Sie, warum . . .«
»Ruhig, ruhig, das geht nicht gegen dich, dir passiert nichts«, sagte der Junge, während er ihn hinausdrängte.
Auch die Fahrgäste waren jetzt aus dem Dodge gestiegenund umringten Mercedes, bestürmten sie mit Fragen. Sie fuchtelte mit den Händen und bewegte den Kopf, leicht hysterisch: »Ich weiß nicht, ich weiß nicht.«
Carreño warf die Maschinenpistolen und die Pistolen der beiden Posten auf den Rücksitz des Dodge und wies den Fahrer an, sich ans Steuer zu setzen. Er faßte Mercedes am Arm und zwang sie einzusteigen.
»Lassen Sie uns hier?« fragte die klagende Dame empört.
»Es wird Sie schon jemand mitnehmen, keine Sorge. Sie können nicht mit mir kommen, man würde Sie für meine Komplizen halten.«
»Wenn es das ist, dann lassen Sie mich auch hier«, protestierte der Fahrer, der schon am Steuer saß.
»Und warum zum Teufel hast du den Fahrer mitgenommen?« fragte Lituma gähnend. »Hat dir Mercedes als Begleitung nicht gereicht?«
»Weder meine Frau noch ich können Auto fahren«, erklärte Carreño. »Fahr endlich los und drück ordentlich aufs Gas.«
Zweiter Teil
VI
»Schön, ich glaube, jetzt kann ich gehen«, sagte Korporal Lituma. Er schätzte, daß er Naccos vor Einbruch der Dunkelheit erreichen würde, wenn er sofort aufbräche.
»Auf keinen Fall, mein Freund«, unterbrach ihn mit zwei freundschaftlich erhobenen Händen der hochgewachsene, blonde Ingenieur, der so liebenswürdig zu ihm gewesen war, seit er La
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