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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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den Verletzten nach Huancayo gebracht hatte). In diesem Häuschen gab man Lituma ein Zimmer mit einem Bett, einer Kerosinlampe und einem Waschbecken. Von dem kleinen Fenster aus sah er die beiden Wassertanks, auf halbem Weg zwischen dem Stolleneingang und den Baracken. Zwei hohe Behälter, die auf steinernen Pfählen ruhten und mit eisernen Leitern versehen waren. In einen der beiden, der am Vorabend für die jährliche Reinigung geleert worden war, hatten sich die Ingenieure und der Doktor geflüchtet, als sie die Terroristen hörten. Dort, vor Kälte und Angst zitternd – oder hatten sie dort ebenfalls mit halblauter Stimme Witze gemacht? –, hatten sie die drei Stunden ausgeharrt, die die Invasoren gebraucht hatten, um sich mit dem halben Dutzend Männer der Sicherheitsmannschaft einenSchußwechsel zu liefern und sie in die Flucht zu schlagen – der Tote und der Verletzte gehörten zu der Gruppe, die Francisco López unterstand –, das Vorratslager um Sprengstoff, Zündschnüre, Stiefel und Kleidungsstücke und die Apotheke um Arzneimittel zu erleichtern und eine Rede an die Bergarbeiter zu halten, die sie aus den Baracken holten und im Licht einiger Acetylen-Lampen auf der kleinen benachbarten Esplanade antreten ließen.
    »Wissen Sie, was ich von diesem Abenteuer im Gedächtnis behalten werde, Korporal?« fragte der blonde Ingenieur, den Pichín Bali nannte. »Nicht die Angst, die ich ausgestanden habe, auch nicht den Diebstahl, nicht mal den armen Jungen, den sie abgeknallt haben. Sondern daß kein Bergarbeiter uns verraten hat.«
    Sie hatten sich zum Essen an einen langen Tisch gesetzt. In den Rauch der Zigaretten mischten sich appetitanregende Düfte.
    »Es hätte nur einer mit dem Finger oder mit dem Kopf auf den Wassertank weisen müssen«, sagte Pichín zustimmend. »Sie hätten uns einen revolutionären Prozeß gemacht, und wir wären jetzt im Paradies, nicht wahr, Bali?«
    »Du und ich in der Hölle, Pichín. Der Prof dagegen wäre in den Himmel gekommen. Denn stellen Sie sich vor, Korporal, so, wie Sie ihn vor sich sehen, hat Scharlach noch nicht seine erste Sünde begangen.«
    »Ich wäre nicht so gemein zu euch gewesen«, sagte der Doktor, und Lituma versuchte, in seiner Aussprachewenigstens eine Silbe auszumachen, die ausländisch klang. »Ich hätte euch begleitet und die Flämmchen mit euch geteilt. Die, die brennen, nicht die, die ihr spuckt.«
    Er hatte gekocht, während die beiden Ingenieure und Francisco López und Lituma einen wohlriechenden Pisco aus Ica tranken, der dem Korporal die Adern mit einer herrlichen Wärme und den Kopf mit aufgekratzter Sorglosigkeit füllte. Der Doktor hatte ein wahres Bankett vorbereitet: Suppe mit Trockenkartoffeln, Bohnen und Hühnerfleisch und ein paniertes Filet mit weißem Reis. Ein Essen, um sich die Finger danach zu lecken! Zu diesen köstlichen Speisen gab es kühles Bier, das Lituma in einen Zustand der Euphorie versetzte. Seit Monaten hatte er nicht so gut gegessen; mindestens seit den Zeiten in Piura. Er war so vergnügt, daß er, seitdem er sich mit diesen Leuten an den Tisch gesetzt hatte, kaum an die Verschwundenen in Naccos gedacht hatte, auch nicht an Tomasitos nächtliche Tränen und seine gefühlsseligen Geständnisse, die beiden Themen – jetzt wurde ihm das klar –, die in der letzten Zeit sein ganzes Leben ausgefüllt hatten.
    »Und wissen Sie, warum ich mich immer an die Loyalität dieser dreißig Bergleute erinnern werde, Korporal?« beharrte der Ingenieur Bali. »Weil sie Pichín und mir eine Lektion erteilt haben. Wir glaubten, sie würden mit den Terroristen unter einer Decke stecken. Und Sie sehen ja, dank ihres Schweigens sind wir hier.«
    »Gesund und munter wie der heilige Hurenbock und mit einer tollen Geschichte, um sie den Freunden zu erzählen«, schloß Pichín.
    »Darüber läßt sich noch manches sagen.« Der Prof hob sein Bierglas. »Ihr glaubt, daß ihr euer Leben diesen Arbeitern verdankt, die euch nicht verraten haben. Ich sage euch, daß ihr es den apus dieser Berge verdankt. Sie haben sich euch gegenüber wohlwollend gezeigt, dank mir. Kurz: ich habe euch gerettet.«
    »Und wieso dank dir, Prof?« sagte Pachín. »Was hast du den apus gegeben?«
    »Dreißig Jahre Studium«, seufzte der Doktor. »Fünf Bücher. Etwa hundert Artikel. Ach, und sogar eine linguistisch-archäologische Karte des mittleren Hochlands.«
    »Was sind denn apus , Doktor?« wagte Lituma zu fragen.
    »Die Totengötter, die Schutzgeister der

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