Tod in den Anden
zu. »Anscheinend haben Sie diese Geschichten von Scharlach geglaubt, Korporal. Hören Sie nicht auf ihn, er ist ein Gringo mit viel Phantasie. Glauben Sie wirklich, daß die imstande waren, diese drei zu opfern? Na ja, warum eigentlich nicht. Tötet man hier nicht jeden, aus jedem Grund? Ständig werden Gräber entdeckt, wie das der zehn evangelischen Prediger bei Huanta. Was wunderalso, daß wir es auch mit Menschenopfern zu tun bekommen.«
Er lachte, aber Lituma amüsierte sich nicht über seine Worte.
»Da gibt es nichts zu witzeln«, sagte er. Eine Reihe von Donnerschlägen hinderte ihn daran, fortzufahren.
»Ich weiß nicht, wie Sie den Fußweg nach Naccos bewältigen wollen«, sagte Francisco López laut, als er sich Gehör verschaffen konnte. »Wenn es dort genauso regnet, dann wird der Abhang ein Sturzbach aus Schlamm sein. Wollen Sie nicht lieber mit mir zurück ins Bergwerk kommen?«
»Auf keinen Fall. Ich muß diese Angelegenheit endlich aufklären.«
»Warum nehmen Sie sich diese Verschwundenen so sehr zu Herzen, Korporal? Was macht es Ihnen letztlich aus, ob es drei arme Teufel in der Welt mehr oder weniger gibt?«
»Ich habe einen der drei gekannt. Er hat unseren Posten geputzt. Ein kleiner Stummer. Ein herzensguter Mensch.«
»Sie wollen John Wayne aus den Cowboy-Filmen sein, Korporal. Ein einsamer Rächer.«
Als sie zwei Stunden später die Stelle erreichten, wo der Jeep umdrehen mußte, hatte es zu regnen aufgehört. Aber der Himmel war weiterhin bedeckt, und man hörte in der Ferne die Donnerschläge des Unwetters, wie einen aus dem Takt geratenen Trommelwirbel.
»Es ist mir nicht ganz wohl bei dem Gedanken, Sie allein zu lassen«, sagte Francisco López. »Möchten Sie, daß wir zusammen etwas warten, bis der Weg trocknet?«
»Nein, nein, ich werde die Zeit nutzen«, sagte der Korporal, während er aus dem Jeep stieg. »Bevor es erneut zu regnen anfängt.«
Er gab ihm die Hand und hörte kaum die Worte des Sicherheitschefs von La Esperanza, der ihm dafür dankte, daß er gekommen war, um die Berichte aufzusetzen. Als er den Abstieg begann, hörte er, wie der Motor ansprang und der Jeep sich entfernte.
»Himmelherrgottscheißenochmal!« brüllte er in diesem Augenblick mit all seinen Kräften. »Drecksärsche! Geisterseher, Götzendiener, Scheißindios, verdammte Scheißkerle!«
Er hörte, wie seine vom Echo vervielfachte Stimme zwischen den hohen Wänden der Berge widerhallte, die im Dunst unsichtbar geworden waren. Diese Schimpfkanonade tat ihm gut. Er setzte sich auf einen Felsstein und zündete sich eine Zigarette an, wobei er die Hände zu einer Höhle formte, damit die Flamme nicht erlosch. Das war passiert, es war sonnenklar. Das Geheimnis hatte ihm dieser Professor mit dem Peru-Tick enthüllt. Dazu also war die Geschichte gut. Er mußte an den Unterricht denken, den sein Lehrer Néstor Martos an der San-Miguel-Schule in Piura gegeben hatte. Er hatte ihn spannend gefunden, denn Néstor Martos, der sich wie eine Vogelscheuche präsentierte,in einen Schal gewickelt, unrasiert und mit einem leichten Chicha-Schwips, erklärte alles wie in Technicolor. Aber nie war ihm der Gedanke gekommen, daß das Studium der Sitten der alten Peruaner zum Verständnis der jetzigen Geschehnisse in Naccos beitragen könnte. Vielen Dank, Scharlach, für die Klärung dieses Geheimnisses. Aber er fühlte sich niedergeschlagener und verwirrter als zuvor. Denn obwohl sein Kopf ihm sagte, daß alle Teile zusammenpaßten, wehrte er sich innerlich dagegen, es zu glauben. Wie sollte es einem normalen Menschen mit auch nur einem bißchen Verstand in den Kopf gehen, daß die Arbeiter Pedrito Tinoco und die anderen beiden den Geistern der Berge geopfert hatten, durch die die Straße führen sollte? Und dieser Unglücksvogel von einem Bürgermeister; sich hier unter falschem Namen auf der Flucht vor den Terroristen zu verstecken, bloß um erschlagen in einem Stollen zu enden.
Er warf die Kippe fort und sah, wie der Wind sie in Pirouetten davontrug. Er machte sich wieder auf den Weg. Es ging nur bergab, aber der Regen hatte die Trasse verwischt, der Boden war rutschig, und er mußte mit großer Vorsicht auftreten, um nicht auf die Nase zu fallen. Statt der eineinhalb Stunden, die er und Francisco López vor zwei Tagen für den Fußmarsch gebraucht hatten, würde er das Dreifache brauchen. Aber es war besser, langsam zu gehen und sich kein Bein zu brechen in dieser Einsamkeit, wo nicht einmal ein Vogel zu sehen
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