Tod in den Wolken
Auskünfte verschwiegen», sagte er kalt. «Glauben Sie nicht, dass wir das so einfach durchgehen lassen!»
Zusammen mit Hercule Poirot schritt er hinaus, während Jules Meunier ihnen angstvoll nachstarrte.
Auf dem Bürgersteig zog Fournier den Hut und verneigte sich.
«Meine Hochachtung, Monsieur Poirot. Was hat Sie auf diesen Gedanken gebracht?»
«Zwei Sätze. Den einen hörte ich heute Morgen von einem Mitreisenden, der seinem Nachbarn erzählte, er habe am Morgen des Mordtages in einem fast leeren Flugzeug den Kanal überquert. Dann erwähnte Elise Grandier, sie habe im Büro der Universal Airlines angerufen und Bescheid erhalten, die Plätze für den Frühflug seien sämtlich ausgebucht. Nun, diese beiden Aussagen widersprachen sich schroff. Weiterhin erinnerte ich mich, dass der Steward der ‹Prometheus› bei seinem Verhör angab, ihm sei Madame Giselle bekannt, weil er sie einmal auf dem Frühflug bedient habe. Mithin pflegte sie gewöhnlich das Flugzeug 8.45 Uhr zu benutzen. Doch irgendjemand wünschte, dass sie diesmal um die Mittagsstunde abflöge – jemand, der ebenfalls die Reise mit der ‹Prometheus› machte. Weshalb behauptete der Angestellte der Fluggesellschaft, für 8.45 Uhr sei schon alles ausgebucht? Ein Irrtum oder eine absichtliche Lüge? Ich vermutete das letztere… und hatte Recht.»
«Mein Gott, jede Minute wird dieser Fall verworrener», rief Fournier. «Zuerst schienen wir auf der Spur einer Frau zu sein. Jetzt ist es ein Mann. Dieser Amerikaner…»
Er brach ab, weil er die skeptische Bewegung Poirots sah.
«Mon cher», sagte der kleine Belgier, «es ist so lächerlich einfach, hier in Paris als Amerikaner aufzutreten! Eine nasale Stimme, der Kaugummi, der kleine Ziegenbart, die Hornbrille – da haben Sie das ganze Zubehör des Bühnen-Amerikaners.»
Er nahm die herausgerissene Magazinseite aus der Tasche, sodass Fournier fragte:
«Was gucken Sie sich da an?»
«Eine Gräfin im Badeanzug.»
«Wie? Sie meinen… Aber nein, sie ist klein, reizend, zart; sie könnte keinen großen, gebeugten Amerikaner mimen, obwohl sie Schauspielerin war. Diese Idee geben Sie nur getrost auf.»
«Ich habe sie ja niemals gehabt», erwiderte Hercule Poirot. Und trotzdem betrachtete er ernst das bedruckte Blatt.
12
Geistesabwesend häufte Lord Horbury einen Berg Nieren auf seinen Teller.
Stephen Horbury war siebenundzwanzig Jahre alt. Er hatte einen schmalen Kopf und ein langes Kinn, und jeder musste ohne weiteres den Sportsmann in ihm erkennen, der einen großen Teil seiner Zeit im Freien verbringt. Im Übrigen war er gutherzig, ein bisschen dünkelhaft, unendlich treu und ungeheuer halsstarrig. Jetzt stocherte er in seinem Nierenhaufen herum, öffnete dann eine Zeitung, die er gleich darauf stirnrunzelnd wieder fortwarf, schob seinen Teller zurück, trank einen Schluck Kaffee und erhob sich. Unschlüssig stand er eine Minute neben seinem Stuhl, um endlich mit einem leichten Nicken das Speisezimmer zu verlassen und in das obere Stockwerk hinaufzusteigen.
Dort pochte er zögernd an eine Tür. «Herein!», rief eine klare, hohe Stimme.
Lord Horbury folgte der Aufforderung und betrat ein nach Süden gelegenes, großes schönes Schlafzimmer. In dem geschnitzten Eichenbett aus der Tudorzeit lag Cicely Horbury, unendlich lieblich in dem rosa Chiffongewand und mit der goldblonden Lockenpracht.
Ein Frühstückstablett mit den Resten von Orangensaft und Kaffee stand auf einem Tischchen neben ihr, und ihre Zofe ging ordnend im Zimmer hin und her.
Jedem Mann hätte man es verzeihen müssen, wenn er beim Anblick von soviel Lieblichkeit etwas schneller geatmet hätte; aber den Grafen Horbury berührte das verlockende Bild, das sein Weib bot, nicht. Vor drei Jahren, ja, da hatte die bezaubernde Anmut seiner Cicely den jungen Mann in einen Rausch versetzt, da war er unsinnig, wild, leidenschaftlich verliebt gewesen. Vorüber all das!
«Du, Stephen?», sagte Lady Horbury überrascht.
«Ich möchte gern mit dir allein sprechen.»
«Madeleine, lassen Sie das jetzt», befahl Cicely der Zofe. «Gehen Sie hinaus.»
«Sehr wohl, M’lady», murmelte die Französin, während sie aus den Augenwinkeln einen neugierigen Blick auf Lord Horbury warf.
Stephen wartete, bis die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, und trat nun etwas näher an das eichene Prunkbett heran.
«Ich möchte genau wissen, Cicely, was dich veranlasst hat, hierher zu kommen.»
Sie zuckte die schmalen, schönen
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