Tod in den Wolken
schwiegen, und Venetia dachte: Sie hat nicht mehr Moral als eine Katze. Aber sie nimmt sich in Acht, um ihm keine Handhabe zu geben. Dann sagte sie laut: «Also ist nichts zu machen.»
Er schüttelte den Kopf und fasste plötzlich die Zügel ihres Pferdes. «Venetia, wenn ich frei wäre – würdest du mich heiraten?»
Ihr Blick ruhte auf dem Pferdehals, während sie mit einer Stimme, die nichts von ihren Gefühlen verriet, leichthin erwiderte:
«Ganz ausgeschlossen wäre es nicht.»
Stephen! Sie hatte Stephen immer geliebt, immer, seit den längst entschwundenen Tagen der Tanzstunde und des Herumtollens in Wald und Flur.
Und Stephen hatte sie gern gehabt, aber nicht gern genug, um dagegen gefeit zu sein, einer gerissenen, berechnenden kleinen Schauspielerin ins Garn zu gehen.
«Wir würden ein wundervolles Leben zusammen führen, Venetia…»
Bilder stiegen vor seinem inneren Auge auf: Fuchsjagden, gemütliche Teestunden am knisternden Kaminfeuer, der Geruch von feuchter Erdkrume und Blättern, Kinder… All die Dinge, die Cicely niemals mit ihm teilen, die sie ihm niemals schenken würde. Ein Nebel legte sich über seine Augen, und wie aus weiter Ferne hörte er Venetias noch immer ruhige, beherrschte Stimme.
«Stephen, wenn wir auf und davon gingen, müsste sich Cicely ja wohl oder übel von dir scheiden lassen.»
«Mein Gott, glaubst du, ich ließe dich einen solchen Schritt tun!», rief er heftig.
«Mir wäre es gleichgültig.»
«Aber mir nicht.»
Ja, so ist er, dachte sie wehmütig. Immer auf den guten Ruf bedacht, mit allerlei Vorurteilen behaftet. Doch ich möchte gar nicht, dass er anders wäre!
«Jetzt muss ich weiter, Stephen», sagte sie. «Auf Wiedersehen.»
Leicht berührte sie ihr Pferd mit dem Absatz.
Als sie sich dann noch einmal umwandte, um ihm zuzuwinken, trafen sich ihre Augen und verrieten all das, was ihre sorgfältig gewählten Worte verschwiegen hatten. An einer Biegung des Wegs entfiel ihr die Reitpeitsche.
Ein einsamer Spaziergänger hob sie auf und überreichte sie ihr mit einer übertriebenen Verbeugung.
Ein Ausländer, überlegte sie, während sie ihm dankte. Habe ich das Gesicht nicht schon mal irgendwo gesehen? Die Hälfte ihrer Gedanken ging die Sommertage in Juan les Pins durch; die andere Hälfte weilte noch bei Stephen Horbury.
Doch gerade, als sie daheim anlangte, wurde in ihrem halb träumenden Hirn eine Erinnerung lebendig. Dieser Spaziergänger…! Er war der kleine Mann, der mir im Flugzeug seinen Platz anbot und von dem es bei der Voruntersuchung hieß, er sei Detektiv. Was sucht er hier? Um Gottes willen, was sucht er hier…?
13
Am Morgen nach der Voruntersuchung stellte sich Jane Grey mit etwas Herzklopfen bei Mr Antoine ein.
Mr Antoine, der sich gern als Ausländer gebärdete, obwohl ihn seine Mutter in einer Londoner Vorstadt zur Welt gebracht hatte, begrüßte Jane mit einem Unheil verkündenden Stirnrunzeln. Es war ihm zur zweiten Natur geworden, in gebrochenem Englisch zu sprechen, sobald er sich innerhalb seines Frisiersalons befand, und so mischte er auch in die Strafpredigt, die er Jane hielt, einige ausländische Brocken. Er schalt sie eine komplette imbécile. Warum musste sie überhaupt mit dem Flugzeug reisen? Was für eine hoffärtige, verrückte Idee! Ihre escapade würde seinem Unternehmen unendlich schaden. Nachdem er seinem Ärger noch weiter Luft gemacht hatte, konnte Jane endlich ihre Freundin Gladys begrüßen. Gladys war eine ätherische Blondine mit stolzem Benehmen und einer kraftlosen «Berufs-Stimme». Im Privatleben war ihre Stimme heiser und munter.
«Gräm dich nicht», sagte sie zu Jane. «Der Alte ist sich noch nicht klar darüber, nach welcher Seite die Katze springen wird. Und meiner Meinung nach springt sie nach einer anderen Seite, als er denkt. – Adieu, adieu, Kindchen, da segelt die geliebteste von meinen Kundinnen herein, vermutlich wieder in grässlicher Laune. Wenn sie nur nicht ihren verdammten Schoßhund mitgebracht hat!»
Eine Sekunde später hauchte Gladys mit matter Stimme:
«Guten Morgen, Madame. Wie, ohne Ihren süßen kleinen Pekinesen…? Haarwäsche, nicht wahr?»
Jane betrat derweil die angrenzende Kabine, wo eine Frau wartete, die ihr Gesicht im Spiegel begutachtete.
«Wirklich, mein Gesicht sieht heute Morgen schrecklich aus», sagte sie zu ihrer Freundin, die gelangweilt in einer drei Wochen alten Zeitschrift blätterte. Bei Janes Erscheinen ließ diese das Heft sinken und starrte das
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