Tod in den Wolken
junge Mädchen an.
«Sie ist es», meinte die Leserin, während der gelangweilte Ausdruck verschwand. «Ich bin sicher.»
«Guten Morgen, meine Damen», grüßte Jane mit jener Heiterkeit, die man von ihr erwartete und die sie ganz mechanisch und ohne die mindeste Anstrengung hervorzubringen verstand. «Sie waren lange nicht bei uns, Madame», dies galt der anderen Frau –, «waren Sie verreist? Vielleicht drüben auf dem Kontinent?»
«Antibes», erklärte diese und musterte Jane nun ebenfalls neugierig.
«Wie schön! Und das Wetter war gut…? Kopfwäsche und Wasserwellen, oder ist heute auch Färben an der Reihe?»
Die Kundin, vorübergehend abgelenkt, lehnte sich vor und prüfte aufmerksam ihr Haar.
«Ich denke, wir können es noch eine Woche verschieben.» Dann richtete sie ihre Blicke wieder auf Jane. «Sagen Sie: Sind Sie nicht das Mädchen, das gestern vor den Geschworenen als Zeugin erschien – das Mädchen, das in dem Flugzeug saß?»
«Ja, Madame.»
«Oh, wie aufregend! Wie schrecklich aufregend! Erzählen Sie doch, wie es war.»
Jane Grey tat ihr Bestes.
«Ja, Madame, es war alles furchtbar, wirklich…»
Sie begann eine lebhafte Schilderung, beantwortete sämtliche Fragen. Wie hatte die alte Französin ausgesehen? Entsprach es den Tatsachen, dass sich zwei französische Detektive in dem Flugzeug befanden und dass hinter dem Ganzen wieder ein französischer Regierungsskandal steckte? Und Lady Horbury? War sie wirklich so schön, wie man behauptete? Wer hatte ihrer Meinung nach den Mord begangen? Es hieß ja auch, die Sache solle vertuscht werden, aus irgendwelchen politischen Gründen… ob das wohl stimmte?
Dieses erste Verhör war nur der Vorläufer von vielen anderen. Jede den Salon betretende Dame wünschte, von «dem Mädchen, das in dem Flugzeug saß», bedient zu werden. Jede sagte hinterher zu ihren Freundinnen: «Liebste, stellen Sie sich vor, das Fräulein bei meinem Friseur ist das betreffende Mädchen… Wie? Ja, selbstverständlich. Ich würde Ihnen unbedingt raten hinzugehen. Mr Antoine versteht sein Fach… Jeanne heißt sie, glaube ich. Ein nettes kleines Ding mit großen Augen. Wenn Sie sie freundlich bitten, wird sie Ihnen alles ausführlich berichten…»
Ende der Woche fühlte Jane Grey, dass ihre Nerven zu leiden begannen, und manchmal, wenn sie das schon so oft Wiederholte von neuem herleiern musste, hätte sie losschreien oder dem jeweiligen Plagegeist den Föhn ins Gesicht werfen mögen.
Schließlich aber verfiel sie auf ein besseres Mittel, ihren Gefühlen Luft zu machen. Sie ging zu Mr Antoine und forderte kühn eine Gehaltserhöhung.
«Das wagen Sie?», tobte er los. «Sie haben die Unverschämtheit, mehr zu verlangen, obwohl ich Sie nur aus Großmut behalte? Sie, die in einen Mordfall verwickelt sind? Viele Menschen, weniger gütig als ich, würden Sie umgehend entlassen haben.»
«Reden Sie keinen Unsinn», erwiderte Jane kaltblütig, «ich bin eine Zugkraft in diesem Salon, und das wissen Sie sehr genau. Wenn Sie wünschen, dass ich gehe, so gehe ich. Bei Prunier oder drüben bei Pierre Richet wird man mir ohne weiteres den verlangten Lohn zahlen.»
«Und woher sollen die Kunden erfahren, dass Sie zur Konkurrenz gegangen sind?»
«Ich habe bei der Voruntersuchung zwei Reporter kennen gelernt, die schon dafür sorgen würden, dass es bekannt wird.»
Und weil Mr Antoine fürchtete, es könne sich so verhalten, bewilligte er brummend Janes Forderungen. Gladys gratulierte ihrer Freundin von Herzen.
«Gut gemacht, Kindchen», lachte sie. «Diesmal hat Antoine den Kürzeren gezogen. Wenn ein Mädchen sich nicht selbst hilft, ist es verloren. Jane, ich bewundere dich!»
«Oh, ich lasse mich nicht unterkriegen», versicherte Jane, ihr kleines Kinn kampflustig reckend. «Ich habe stets allein für mich sorgen müssen.»
«Und das ist manchmal verdammt schwer. Zeig dem Alten nur weiterhin die Zähne. Schwäche führt in diesem Leben zu nichts – aber Gott sei Dank kranken weder du noch ich daran.» Nach diesem Zwischenfall gab Jane Grey ihre Schilderung, die sie täglich mit kleinen Abwandlungen mehrmals wiederholte, wie eine Bühnenrolle. Ihr Versprechen, mit Norman Gale abends essen und ins Theater zu gehen, hatte sie gehalten, und jedes Wort, das an diesen reizenden Abenden zwischen ihnen gewechselt wurde, schien den Gleichklang ihres Fühlens und Denkens zu bestätigen.
Sie liebten Hunde und verabscheuten Katzen. Sie hassten Austern und fanden, dass
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