Tod in den Wolken
sich selbst. Sein Gesicht sah weiß und abgespannt aus, und deutlich fing das Paar einige der gemurmelten Worte auf: «Warum sagt sie nichts? Warum? Es muss ein Grund vorliegen…»
Die Ampel strahlte jetzt grün. Kaum stand der kleine Autor auf dem jenseitigen Bürgersteig, knurrte er: «Endlich sehe ich klar. Natürlich! Schon deshalb muss sie mundtot gemacht werden.»
Vor Aufregung kniff Jane ihren Begleiter heftig in den Arm.
Nun raste Mr Clancy mit Siebenmeilenstiefeln weiter, die beiden Menschen, die ihm ständig auf den Fersen blieben, offenbar gar nicht bemerkend. Und stetig schleifte der Mantel über das Pflaster dahin. Schließlich – mit verwirrender Plötzlichkeit – machte der Kleine vor einem Haus halt, schloss die Tür auf und verschwand im Innern.
Norman und Jane schauten sich an.
«Es ist sein eigenes Haus, Cardington Square 47. Er nannte die Adresse bei der Verhandlung.»
«Vielleicht wird er noch einmal herauskommen», meinte Jane. «Und wenn nicht, so haben wir immerhin etwas gehört. Irgendjemand, eine Frau, soll mundtot gemacht werden, und irgendeine andere Frau will nicht sprechen. Oh, Norman, es klingt beinahe wie eine Kriminalgeschichte.»
Da kam eine Stimme aus der Dunkelheit. «Guten Abend», wünschte sie… Norman und Jane prallten zurück.
Der Eigentümer dieser Stimme trat aus dem Schatten hervor, zwei mächtige Schnurrbartenden zeigten sich im Licht der Straßenlaterne.
«Eh bien», lächelte Hercule Poirot, «ein schöner Abend für eine Verfolgungsjagd, nicht wahr?»
15
Von den beiden überraschten jungen Menschen fasste sich Norman Gale zuerst. «Oh, Sie sind es, Monsieur… Monsieur Poirot! Versuchen Sie noch immer, sich von dem Verdacht zu reinigen?»
«Sieh da! Sie erinnern sich unserer kleinen Unterhaltung? Und ausgerechnet den armen Mr Clancy verdächtigen Sie?»
«Sie ebenfalls», sagte Jane schlagfertig. «Sonst wären Sie ja nicht hier.»
Er betrachtete ruhig ihr junges, frisches Gesicht. «Haben Sie je über Mord nachgedacht, Mademoiselle? Über Mord im Allgemeinen? Kaltblütig und leidenschaftslos?»
«Bis vor kurzem habe ich mich wohl nie damit beschäftigt.»
Hercule Poirot nickte.
«Ja, und jetzt denken Sie daran, weil ein Mord Sie persönlich berührt hat. Doch ich, Mademoiselle, ich hatte viele Jahre mit Verbrechen zu tun und habe meine eigene Art, die Dinge zu sehen. Was würden Sie hauptsächlich im Auge haben, wenn Sie einen Mord aufzuklären versuchten?»
«Den Mörder zu finden», sagte Jane Grey.
«Die Gerechtigkeit», sagte Gale.
Der Belgier schüttelte den Kopf. «Es gibt wichtigere Dinge, als den Mörder zu finden. Gerechtigkeit ist ein schönes Wort, doch bisweilen fällt es schwer, genau zu erläutern, was man damit meint. Meiner Ansicht nach ist das Wichtigste, den Unschuldigen zu entlasten.»
«Das versteht sich von selbst», erwiderte das junge Mädchen. «Wenn jemand angeklagt wird…»
«Nicht einmal das. Es braucht gar keine Anklage vorzuliegen. Aber bis eine Person eindeutig der Schuld überführt wurde, läuft jeder andere, der mit dem Verbrechen in Verbindung steht, Gefahr, mehr oder weniger darunter zu leiden.»
«Wie wahr das ist!», pflichtete Gale ihm aus tiefster Seele bei. Und Jane ergänzte: «Als ob wir das nicht am besten wüssten!»
«Aha!» Poirot blickte von einem zum anderen. «Also haben Sie es bereits am eigenen Leibe gespürt?» Dann sagte er kurz: «Zur Sache! Da unsere Ziele die gleichen sind, wollen wir uns zusammentun. Ich möchte unserem findigen Freund Mr Clancy einen Besuch abstatten und vorschlagen, dass Mademoiselle mich als meine Sekretärin begleitet. Hier sind ein Notizbuch und ein Bleistift zum Stenografieren.»
«Ich kann nicht stenografieren», japste Jane.
«Das schadet nichts. Aber Sie besitzen einen hellen Verstand. Sie können glaubwürdige Bleistiftzeichen in das Buch kritzeln, nicht? Schön. Was Mr Gale anbelangt, so schlage ich vor, dass er uns in etwa einer Stunde wieder trifft. Vielleicht bei ‹Monseigneur›? In der oberen Etage? Bon!» Und obwohl Norman den Mund öffnete, als wolle er Einspruch erheben, schritt Poirot, gefolgt von der etwas verwirrten Jane, auf die Haustür zu und klingelte.
Eine ältere, mürrische Frau in strengem Schwarz öffnete.
«Zu Mr Clancy», sagte Poirot kurz.
«Ihr Name, Sir?»
«Hercule Poirot.»
Die Frau führte sie treppauf.
«Mr Eer Küle Prott», meldete sie, die Tür zu einem Zimmer aufreißend.
Poirot entsann sich sofort der
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