Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in den Wolken

Tod in den Wolken

Titel: Tod in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
nach einem anderen Posten umzusehen; dies hier scheint mir ein sinkendes Schiff zu sein.»
    «Oh, Mr Gale, ich denke nicht daran, Sie zu verlassen.»
    «Gutes Mädchen! Sie sind also keine Ratte. Aber ernsthaft: Wenn dieser Fall nicht bald geklärt wird, bin ich erledigt.»
    Als er am selben Abend mit Jane beim Dinner saß, behauptete er, er befinde sich in ausgezeichneter Stimmung. Aber Janes scharfe Augen ließen sich nicht täuschen. Sie bemerkte plötzliche Augenblicke von Geistesabwesenheit, die kleine Falte, die sich zwischen seine Brauen schob, die harte Linie um den Mund.
    «Norman, geht die Praxis nicht gut?», forschte Jane endlich. Er streifte sie mit einem raschen Blick und sah dann fort.
    «Nun, nicht allzu gut. Es ist die stille Jahreszeit.»
    «Seien Sie nicht so einfältig!», stieß sie hervor.
    «Jane!»
    «Ja, es ist mein Ernst. Bilden Sie sich ein, ich spürte nicht, wie niedergeschlagen Sie sind?»
    «Ich bin nicht niedergeschlagen. Nur verärgert, weil die Leute ihre Zähne nicht von einem eventuellen Mörder behandeln lassen wollen.»
    «Wie grausam!»
    «Ja, Jane. Ich bin nämlich ein ganz guter Zahnarzt, und ein Mörder bin ich nicht.»
    «Es ist gemein, wie die Leute sich benehmen!», entrüstete sich das junge Mädchen. «Irgendjemand müsste etwas dagegen tun.»
    «So etwas Ähnliches sagte heute Vormittag auch meine Assistentin Miss Ross.»
    «Wie sieht sie aus?»
    «Miss Ross?»
    «Ja.»
    «Oh – ich weiß nicht recht. Große, starke Knochen, eine Nase wie ein Schaukelpferd. Dazu ungemein gewissenhaft.»
    «Nun, das klingt ja ganz nett», sagte Jane gnädig.
    Norman Gale freute sich über seine Diplomatie. Mary Ross war in Wirklichkeit gar nicht so knochig, außerdem hatte sie ein sehr apartes Gesicht, umrahmt von rotem Haar. Doch Norman empfand sehr richtig, dass es besser war, das nicht zu erwähnen.
    «Ich möchte selber etwas tun», gestand er, auf Janes frühere Bemerkung zurückgreifend, «möchte etwas entdecken oder jemanden beschatten.»
    Plötzlich zupfte Jane ihn am Ärmel.
    «Da drüben sitzt Mr Clancy, der Schriftsteller. Ihn könnten wir ja beschatten.»
    «Und das Kino?»
    «Ich pfeife auf das Kino», erklärte Jane Grey, indem sie unwillkürlich in die Tonart ihrer Freundin Gladys verfiel. «Wer weiß, vielleicht kundschaften wir etwas aus.»
    Ihr Eifer wirkte ansteckend, und nach kurzer Beratung beschlossen sie, gleich zu zahlen, damit sie nicht unnötig aufgehalten würden, wenn Mr Clancy aufstünde. Als der kleine Mann sich dann endlich erhob und in die Dean Street hinaustrat, folgten ihm Norman und Jane tatsächlich ziemlich dicht auf den Fersen.
    «Für den Fall, dass er ein Taxi nimmt», erläuterte das Mädchen.
    Mr Clancy nahm jedoch kein Taxi. Den Mantel über den Arm gelegt, wanderte er durch Londons Straßen. Sein Gang war etwas fahrig. Bisweilen bewegte er sich mit eiligem Schritt vorwärts, bisweilen verlangsamte er das Tempo derart, dass er kaum noch vom Fleck kam. Einmal, kurz bevor er eine Straße überquerte, stand er still, den einen Fuß frei schwebend über dem Rinnstein, und erinnerte in dieser Stellung an eine Zeitlupenaufnahme.
    Auch seine Richtung war irritierend. Zum Beispiel bog er einmal so oft hintereinander nach rechts ab, dass er dieselbe Straße zweimal entlangging. Janes Hoffnungsbarometer stieg.
    «Er fürchtet, verfolgt zu werden, und versucht deshalb, uns abzuschütteln», sagte sie erregt.
    «Glauben Sie?»
    «Bestimmt. Niemand würde sich so in Kreisen bewegen.»
    «Oh!»
    Sie waren ziemlich schnell um eine Ecke gebogen und wären beinahe auf ihr Wild geprallt. Mr Clancy verharrte breitbeinig vor einem Fleischerladen, der allerdings geschlossen war. Aber irgendetwas oberhalb des ersten Stockwerks schien des Schriftstellers Aufmerksamkeit zu fesseln. «Famos!», stieß er laut hervor. «Welch ein Glück!»
    Schnell nahm er ein kleines Buch und schrieb sehr sorgfältig etwas auf, wobei der Mantel ins Rutschen kam und fortan auf dem Boden schleifte. Dann ging er weiter, nunmehr in munterem, flottem Schritt, zu dem eine leise gesummte Melodie den Takt angab. Endgültig schlug Mr Clancy jetzt die Richtung nach Bloomsbury ein. Manchmal, wenn er den Kopf seitwärts wandte, konnten die Verfolger erkennen, wie er die Lippen bewegte.
    «Der ist vollkommen durcheinander», erklärte Jane Grey. «Er redet mit sich selbst, ohne es zu wissen.»
    Als er an einer Ampel wartete, standen Norman und Jane neben ihm. Tatsächlich – Mr Clancy sprach mit

Weitere Kostenlose Bücher