Tod in den Wolken
ein.
«Zwischen zwei Bananen – das ist köstlich!» Erneut lachte Mr Clancy.
«Sie haben als Schriftsteller einen großen Vorteil, Monsieur», sagte Hercule Poirot. «Sie können Ihrem Herzen im gedruckten Wort Luft machen und überwinden Ihre Feinde durch die Macht Ihrer Feder.»
«Ja. Im Übrigen komme ich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass sich dieser Mordfall als eine wirklich glückliche Angelegenheit für mich erweist. Ich beabsichtige, das Ganze genauso zu schreiben, wie es sich zutrug. Als Roman natürlich, mit dem Titel: ‹Mysterium über dem Kanal.› Genaue Schilderung sämtlicher Passagiere. Oh, das Buch wird sich verkaufen wie warme Semmeln – wenn ich es noch rechtzeitig herausbringen kann.»
«Meinen Sie nicht, dass Ihnen daraus einige Beleidigungsklagen oder Derartiges entstehen werden?», mischte sich Jane zum ersten Mal in das Gespräch, woraufhin Mr Clancy sein strahlendes Gesicht ihr zuwandte.
«Nein, nein, meine Liebe. Freilich, wenn ich einen der Passagiere zum Mörder stempelte – nun ja, dann würde man mich wohl belangen. Doch das Stärkste an dem Buch ist die völlig unerwartete Lösung im letzten Kapitel.»
«Und wie sieht diese Lösung aus?», fragte Poirot eifrig.
«Ah, Sie werden staunen! Als Pilot verkleidet, schleicht sich ein junges Mädchen auf dem Flugplatz Le Bourget auf die ‹Prometheus› und verbirgt sich unter Madame Giselles Platz. Es hat eine Ampulle des neuesten Gases bei sich, das es entweichen lässt und das die Fluggäste für drei Minuten betäubt. Während dieser Zeit tötet das Mädchen Madame Giselle mit dem vergifteten Dorn und bringt sich durch einen Fallschirmabsprung aus der rückwärtigen Tür in Sicherheit.»
Hercule Poirot und seine angebliche Sekretärin verständigten sich durch einen schnellen Blick.
«Und warum wird die Verbrecherin nicht ebenfalls durch das Gas bewusstlos?», erkundigte sich Jane.
«Gasmaske», erklärte Mr Clancy.
«Soso. Sie springt also in den Kanal hinunter?»
«Es braucht ja nicht der Kanal zu sein. Ich werde die französische Küste draus machen.»
«Leider könnte sich aber niemand unter dem Sitz verstecken, Mr Clancy, weil der Raum nicht ausreicht.»
«In meinem Flugzeug wird der Raum ausreichen», versetzte der Schriftsteller entschlossen.
«Allerhand!», bewunderte Poirot. «Und die Beweggründe der jungen Dame?»
«Da schwanke ich noch. Wahrscheinlich wurde ihr Geliebter durch die Giselle ruiniert und beging Selbstmord.»
«Und wie verschaffte sie sich das Gift?»
«Ja, das ist überhaupt der Glanzpunkt», begeisterte sich Mr Clancy. «Sie ist nämlich Schlangenbeschwörerin und entzieht das Gift ihrer Lieblingsschlange.» Der Mann hatte wirklich Fantasie.
«Mon dieu!» sagte Poirot, und noch einmal: «Mon dieu! Sollte das nicht vielleicht ein bisschen zu sensationell sein?»
«Sie können überhaupt nicht sensationell genug schreiben», belehrte ihn der Schriftsteller. «Besonders, wenn Sie Pfeilgift oder dergleichen zur Sprache bringen. Wollen Sie denn etwa, dass ein Kriminalroman dem wirklichen Leben entspricht? Nehmen Sie doch nur die Berichte aus den Zeitungen – langweilig und trübe wie Gossenwasser!»
«Nicht so stürmisch, Monsieur. Wollen Sie etwa sagen, dass unsere kleine Angelegenheit langweilig wie Gossenwasser sei?»
«Nein, die nicht. Bisweilen kommt sie mir einfach unwirklich vor.»
Poirot rückte den knackenden Stuhl ein wenig näher an den Hausherrn heran, und seine Stimme wurde vertraulich.
«Monsieur Clancy, Sie sind ein Mann mit Hirn und Vorstellungskraft. Die Polizei, die das nicht zu würdigen wusste, ist Ihnen mit Argwohn entgegengetreten, anstatt Sie um Rat zu fragen. Ich aber, ich, Hercule Poirot, wünsche Ihren Rat.»
Mr Clancy wurde puterrot vor Freude. «Oh, das ist sehr nett von Ihnen.»
«Sie haben Kriminologie studiert», führte der kleine Belgier weiter aus. «Ihre Ideen werden wertvoll sein. Es würde mich sehr interessieren zu erfahren, wer Ihrer Meinung nach das Verbrechen verübte.»
«Hm…» Clancy zauderte, streckte mechanisch die Hand nach einer Banane aus und begann zu essen. Dann wiegte er, während der Eifer aus seinem Gesicht schwand, langsam den Kopf. «Sehen Sie, Monsieur Poirot, da gibt es einen grundlegenden Unterschied. Wenn Sie schreiben, können Sie alles nach Belieben drehen und wenden, während im wirklichen Leben eine wirkliche Person vorhanden ist. Sie haben keine Macht über die Tatsachen. Ehrlich gestanden fürchte ich, dass ich als
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