Tod in den Wolken
zerstreut, wie man glauben möchte.»
«Brauchten Sie jene beiden Adressen wirklich, Monsieur Poirot?»
«Ja.»
«Aber wenn die Polizei…»
Hercule Poirot machte eine etwas verächtliche Handbewegung. «Ah, die Polizei! Meine Fragen würden anders lauten als die ihrigen, obwohl ich vorläufig glaube, dass sie überhaupt keine Fragen gestellt hat. Es erscheint ihr vermutlich überflüssig, weil das im Flugzeug gefundene Blasrohr von einem Amerikaner in Paris gekauft wurde.»
«Einem Amerikaner? Aber es befand sich doch gar kein Amerikaner an Bord.»
Poirot lächelte väterlich.
«Ganz recht. Den Amerikaner schickt uns das Schicksal nur, damit die Sache noch verworrener wird.»
«Wurde es tatsächlich von einem Mann gekauft?», mischte sich jetzt Gale ein.
«Ja, von einem Mann», wiederholte der Belgier mit einem rätselhaften Gesichtsausdruck.
«Mr Clancy war es jedenfalls nicht!», sagte Jane. «Er besaß bereits ein Blasrohr, sodass er kein anderes gekauft haben würde.»
«Bravo, Mademoiselle! So muss man vorgehen: Jeden der Reihe nach verdächtigen und ihn alsdann von der Liste streichen.»
«Wie viele haben Sie bis jetzt schon gestrichen?»
«Nicht so viele, wie Sie wahrscheinlich denken, Mademoiselle… Aber sprechen wir jetzt lieber von anderen Dingen. Zum Beispiel, wie dieses Drama auf das Leben meiner beiden jungen Freunde hier eingewirkt hat.»
Jane Grey berichtete von dem Andrang bei Mr Antoine und ihrer sich daraus ergebenden Gehaltserhöhung.
«Also Ihre Lebenslage hat sich gebessert», meinte Poirot, «voraussichtlich jedoch nur für eine gewisse Zeit. Selbst ein Neun-Tage-Wunder währt nicht länger als neun Tage.»
Jane lachte. «Das ist wahr.»
«In meinem Fall wird es, fürchte ich, länger als neun Tage dauern», sagte Norman Gale. Und er erzählte von seinen Erfahrungen.
«Ja, es wird bestimmt länger als neun Tage oder neun Wochen oder gar neun Monate dauern», meinte Poirot, der teilnehmend zugehört hatte, nachdenklich.
«Die Sensation stirbt rasch; Furcht dagegen ist langlebig.»
«Würden Sie mir raten durchzuhalten?»
«Haben Sie denn irgendeinen anderen Plan, Mr Gale?»
«Ja, den ganzen Krempel hinschmeißen und in Kanada oder sonst wo von vorn beginnen.»
«Oh, das dürfen Sie nicht tun!», rief Jane.
Norman schaute ihr in die Augen, während sich Poirot taktvoll seinem gebratenen Hähnchen widmete.
«Ich möchte auch nicht fort», gestand Norman Gale.
«Wenn ich herausfinde, wer Madame Giselle tötete, erübrigt es sich, Mr Gale», sagte Hercule Poirot fröhlich.
«Glauben Sie wirklich, es wird Ihnen gelingen?»
«Mademoiselle!» Der kleine Belgier blickte die Fragerin vorwurfsvoll an. «Wenn man mit Ordnung und Methode an ein Problem herangeht, gibt es keine Schwierigkeit, es zu lösen. Keine!», wiederholte er streng und schwieg dann eine Sekunde. «Freilich – wenn ich Hilfe hätte, würde die Lösung rascher erfolgen.»
«Was für Hilfe?»
Abermals schien Poirot die Antwort zu überlegen.
«Hilfe von Mr Gale», erklärte er langsam. «Und später vielleicht auch von Ihnen, Mademoiselle.»
«Was kann ich tun?», forschte der junge Zahnarzt.
«Was?» Sehr diskret benutzte Poirot einen Zahnstocher. «Also rundheraus: Ich brauche einen Erpresser.»
«Wie bitte?» Norman Gale starrte den älteren Mann an, als habe er nicht richtig gehört.
«Jawohl, einen Erpresser.»
«Aber wofür?»
«Parbleu, zum Erpressen.»
«Gewiss, gewiss. Ich meine… warum?»
«Warum? Das ist meine Angelegenheit», erwiderte Poirot ziemlich schroff. Gleich darauf fuhr er in geschäftsmäßigem Ton fort: «Mein Plan ist Folgender: Sie werden einen an die Gräfin Horbury gerichteten Brief schreiben. Das heißt, ich werde ihn schreiben, und Sie werden ihn abschreiben und den Umschlag mit dem Vermerk ‹Persönlich› versehen. Sie werden um eine Unterredung bitten, daran erinnern, dass Sie bei einer gewissen Gelegenheit zusammen mit ihr im Flugzeug nach England reisten, und endlich auch andeuten, dass Sie gewisse Daten betreffs Madame Giselles geschäftlicher Verbindungen in Händen haben.»
«Und dann?»
«Dann bewilligt die Dame Ihnen die Unterredung, in deren Verlauf Sie ihr mancherlei sagen und schließlich zehntausend Pfund verlangen werden.»
«Sie sind verrückt!»
«Durchaus nicht», sagte Poirot. «Ich bin vielleicht überspannt, aber nicht verrückt.»
«Und angenommen, Lady Horbury benachrichtigt die Polizei? Dann wandere ich ins Gefängnis.»
«Keine Angst!
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