Tod in der Marsch
mal, du Arschgeige.«
Christoph war entsetzt. Warum ging der Oberkommissar
grundlos aggressiv auf die harmlosen jungen Leute zu?
Der Jugendliche sah den Mann im dunklen Parka
verständnislos an.
Ungerührt fuhr Große Jäger fort: »Wenn ich dich
Wichser erwische, dass du meinem Wagen auch nur auf fünfzig Metern nahe kommst,
dann entmanne ich dich.« Dabei zeigte er auf den mit viel Außentuning
aufgepäppelten Wagen des streitsüchtigen Ohrringträgers, der mit seinen
Kumpanen im Haus verschwunden war.
Der junge Mann schnappte nach Luft wie ein Fisch auf
dem Trockenen. Er hatte nie die Absicht gehabt, sich an irgendeinem Fahrzeug zu
vergreifen, geschweige denn Streit mit einem ihm wildfremden Mann zu suchen.
»Wenn du mein Auto anfasst«, betonte Große Jäger noch
einmal, »wirst du wissen, wie man einen Liter Blut durch die Nase spendet. Und
noch etwas: Schau einmal im Lexikon unter ›Arsch‹ nach. Da ist dein Gesicht
abgebildet.«
Christoph reichte es. Dieses ungestüme Vorwärtsdrängen
seines Mitarbeiters gegenüber einem völlig arglosen Jungen konnte er nicht
akzeptieren. Er eilte auf Große Jäger zu, der sich aber von der Gruppe der
völlig sprachlosen jungen Leute abgewandt hatte und ihm mit einem ganz breiten
Grinsen und einem ausgesprochen fröhlichen Augenzwinkern entgegenkam.
Dann betraten sie das gemütliche Restaurant, das in
dieser Jahreszeit ohne den Ansturm der Fremden eine ausgezeichnete Empfehlung
war.
Nachdem sie aus der reichhaltigen Karte mit
einheimischen Spezialitäten gewählt hatten, fragte Christoph: »Woher stammt
eigentlich der Name Große Jäger? Der klingt nicht alltäglich.«
Der Oberkommissar inhalierte tief den Rauch seiner
Zigarette, dann blies er den blauen Dunst Christoph direkt ins Gesicht.
»Ich komme aus dem Münsterland«, erklärte er
schließlich. »Dort sind Namenskombinationen mit ›Große‹ oder ›Kleine‹, aber
auch in der niederdeutschen Variante wie zum Beispiel ›Lütke‹ nichts
Außergewöhnliches. Aber immer ohne Bindestrich. Es ist schließlich kein
Doppelname.«
»Und wie kommt ein Münsterländer als Polizist nach
Husum?«, bohrte Christoph weiter.
Große Jäger zierte sich. Christoph hatte ihn nie über
persönliche Dinge sprechen hören.
»Indem er Abitur macht, dann aber nicht studiert,
sondern als Offiziersanwärter zur Bundeswehr geht. Irgendwem habe ich dort
nicht gefallen, und so bin ich als junger Leutnant nach Husum strafversetzt
worden.« Er legte eine besondere Betonung auf das Wort »strafversetzt«. »Man
hat mir schon rechtzeitig zu verstehen gegeben, dass man mich in keinem Fall
als Berufssoldat übernehmen würde. Mit der Beförderung war es auch Essig. Und
so bin ich nach zwölf Jahren Wehrdienst als Leutnant aus der Bundeswehr
ausgeschieden.«
Christoph konnte sich lebhaft vorstellen, dass Große
Jäger selbst hartgesottene Militärs mit seiner schnodderigen Art zur
Verzweiflung getrieben haben musste.
»Und dann?«
Große Jäger nahm einen kräftigen Schluck Bier, setzte
das leere Glas geräuschvoll auf dem Untersatz ab und bedeutete der im
Hintergrund lauernden Bedienung, dass die kleine Gesellschaft Nachschub
verlangte.
»Was soll ein Typ wie ich machen? Für die Rente war es
noch zu früh. Nach dem Abitur direkt zur Bundeswehr. Nichts Gescheites gelernt,
aber schon über dreißig. Welche Perspektiven gibt es da noch? Also habe ich das
Anrecht, nach der Bundeswehr in den öffentlichen Dienst überzuwechseln,
angenommen. Ein Leben im Einwohnermeldeamt wollte ich mir und dem Bürgermeister
nicht zumuten. So bin ich bei der Polizei gelandet.«
Große Jäger fingerte nach seiner Zigarettenpackung,
zündete sich umständlich eine neue Zigarette an und schwieg.
»Und Sie?« Christoph wandte sich an Harm Mommsen.
»Ich komme aus dem Husumer Umland«, gab dieser bereitwillig
Auskunft.
»An sich ja noch keine Schande …«, warf Große Jäger
ein.
»Mein Jahrgang hatte nicht mehr die große Auswahl nach
dem Schulabschluss. Hinzu kommt, dass diese Region auch noch erhebliche
strukturelle Nachteile gegenüber anderen Gegenden hat. So habe ich mich nach
dem Abitur bei der Polizei beworben.«
»Und zugunsten einer interessanten beruflichen
Perspektive Mobilität zeigen und sich notfalls an anderen Standorten
niederlassen?«
Harm Mommsen schüttelte den Kopf. »Wenn die Mehrheit
der jungen Leute abwandert, hat dieses wunderbare Land keine Zukunft. Seit
Hunderten von Jahren trotzen unsere Vorfahren allen Widrigkeiten,
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