Tod in der Marsch
seiner
im gleichen Haus wohnenden hochbetagten Vermieterin hatte.
»Hallo, mein Schnutziputzi«, hatte er dem Geist
fröhlich zugerufen.
Und als dieser entrüstet geantwortet hatte: »Aber Herr
Johannes, so kenne ich Sie gar nicht«, hatte er mit einem charmanten Lächeln
zurückgegeben: »Ich mich auch nicht.« Mit einem galanten durch die Luft
zugeworfenen Handkuss hatte er sich dann in sein eigenes Reich verabschiedet.
Wer auch immer behauptet hatte, eine warme Dusche
würde die Spuren eines solchen Abends verwischen, musste gelogen haben. Selbst
die klare Winterluft auf dem Fußweg zur Dienststelle hatte nur bedingt heilsame
Wirkung.
Im Büro saß Große Jäger, der zwar auch im Gesicht
Quetschfalten wie ein Bullterrier aufwies, aber trotzdem noch einigermaßen
lebendig wirkte.
»Du musst etwas essen.« Der Oberkommissar verkündete
die allgemeine Weisheit und hielt Christoph eine Tüte mit trockenen Brötchen
hin.
Aber im Laufe der Nacht mussten die schwarz
gekleideten Männer, die ihn bis zum Wecken verfolgt hatten, heimlich und leise
eine Sperrmauer zwischen Mund und Magen errichtet haben. Er bekam nichts
hinunter.
Etwas später erschien Mommsen. Mit Genugtuung stellte
Christoph fest, dass auch der junge Kollege in einem Indizienprozess keine
Chance auf Leugnen des vorhergehenden Abends gehabt hätte. Aber es half nichts,
der Tag erwartete sie.
Das Telefon schrillte. Christoph nahm den Hörer ab und
meldete sich. Am anderen Ende entstand einen kurzen Augenblick verblüfftes
Schweigen, dann kam ein heiseres »Willkommen im Club« zurück.
Christoph erkannte Hauptkommissar Jürgensen, den
Kriminaltechniker, und beließ den kleinen Mann aus Flensburg in dem Glauben, er
hätte sich jetzt auch eine Erkältung zugezogen.
Jürgensen kam kurz auf das vergebliche Bemühen, eine
Genehmigung zur Untersuchung des Fuhrparks von Dirschaus zu erhalten, zu
sprechen. Dann fragte er, ob Christoph schon die Laborergebnisse aus Kiel
vorliegen hätte.
»Nein, wir haben noch nichts erhalten.«
»Ich habe soeben einen Vorbericht über das Datennetz
bekommen«, sagte Jürgensen. »Man hat dort den genetischen Fingerabdruck von den
Gegenständen der Tochter mit den Werten von Peter Dahl verglichen. Es gibt
keinen Zweifel. Peter Dahl ist der leibliche Vater. Also ist das eine ganz
normale Familie.«
»War«, sagte Christoph. » War eine ganz normale
Familie.«
»Ich habe aber noch etwas.« Jürgensen ließ die
Spannungskurve steigen, ohne auf Christophs Einwand näher einzugehen.
»Und was ist das?«
»Die Kollegen in Kiel wissen jetzt, von wem die
Schürfspuren unter den Fingernägeln der Toten stammen.«
»Nun mach es nicht zu spannend«, gab Christoph zurück.
Jürgensen legte eine kurze, dramaturgische Pause ein.
»Da kommt ihr nie drauf«, erklärte er schließlich. »Die Hautspuren unter den
Nägeln von Anne Dahl stammen von ihrer Tochter.«
Jetzt war es an Christoph, verblüfft zu schweigen.
Darauf konnte er sich keinen Reim machen.
Auch im folgenden Gespräch mit seinen Kollegen wollte
ihnen keine Erklärung dafür einfallen.
»Ich denke, wir sollten unsere Suche wieder in
Marschenbüll aufnehmen«, schlug Christoph vor. »Ich habe das unbestimmte
Gefühl, etwas übersehen zu haben. In mir rumort es, aber ich bekomme es nicht
zu fassen. Eigenartig.«
Er brachte damit zum Ausdruck, was ihn schon eine
Weile beschäftigte. Etwas war ihm aufgefallen, ins Unterbewusstsein
eingedrungen.
»Also, auf nach Marschenbüll.«
»Augenblick noch.« Mommsen wedelte mit einem Blatt
Papier. Aus der Distanz konnte Christoph das vorgedruckte Formular für die
Aufnahme von Anzeigen erkennen.
»Hier ist gestern Abend eine Anzeige gegen unbekannt
aufgegeben worden. Wegen Sachbeschädigung.«
Mommsen biss sich förmlich auf die Zunge, um einen
Lachanfall zu unterdrücken.
»Der Anzeigende hat gestern Abend mit drei Freunden
einen vierten Bekannten im Hafenviertel besucht. Seinen Pkw Marke BMW hatte er dabei vor der Haustür des
Bekannten geparkt. Zeugen sind seine drei Freunde, die mit ihm im Fahrzeug
waren, sowie drei ihm unbekannte Herren, mit denen er beim Aussteigen ein
Gespräch geführt hatte .« Jetzt brach es lauthals aus Mommsen heraus.
»Nach etwa einer halben Stunde sah zufällig einer der
Begleiter aus dem Fenster und bemerkte, wie sich vier Jugendliche am Auto des
Anzeigenden zu schaffen machten. Die fünf Männer aus der Wohnung stürmten
sofort auf die Straße, konnten die Jugendlichen, die in der
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