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Tod in der Marsch

Tod in der Marsch

Titel: Tod in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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die dieser
Landstrich mit sich bringt. Da war der stete Kampf mit den Elementen, ein zähes
Ringen mit der See um jede Quadratmeile. Nicht umsonst hat Theodor Storm mit
dem ›Schimmelreiter‹ den Menschen hinterm Deich ein literarisches Denkmal
gesetzt.« Mommsen machte eine Pause und sah nachdenklich in sein Bierglas, das
er langsam zum Mund führte. »Außerdem liebe ich dieses Land, die ruhigen,
besonnenen, aber umso tatkräftigeren Menschen hinterm Deich und in der weiten
Marsch, die unendliche Freiheit, das klare Licht des Nordens. All dieses würde
ich um nichts in der Welt gegen ein Leben in einer lärmenden und
smogverseuchten Großstadt hergeben. Hier bin ich geboren, hier bin ich
verwurzelt. Und hier bleibe ich!«
    Christoph hob seinerseits das Glas und hielt es in
Richtung seiner beiden Kollegen. »Ich bin mit sehr viel Skepsis hierher an die
Küste gekommen«, sagte er, »aber mit Ihnen beiden habe ich ein hervorragendes
Team vorgefunden.« Mit einem Seitenblick auf Große Jäger ergänzte er: »Auch
wenn in manchen Dingen die Toleranzschwelle eines Vorgesetzten arg gefordert
wird. Bei der guten Zusammenarbeit schlage ich vor, dass wir künftig auf
Förmlichkeiten verzichten. Ich heiße Christoph!«
    Mommsen hatte ebenfalls sein Glas erhoben. »Ich heiße
Harm«, sagte er.
    Auch Große Jäger murmelte irgendetwas. Christoph hatte
es nicht verstanden, während Harm Mommsen unverhohlen grinste.
    »Wie bitte?«, fragte er nach.
    Große Jäger zögerte. Dann gab er sich einen Ruck und
sagte laut und deutlich: »Wilderich! Ich heiße Wilderich. Und wenn jemand
wissen möchte, ob ich noch einen zweiten Vornamen habe: Ja! Aber der ist noch
bescheuerter. Mit vollem Namen heiße ich Wilderich Remigius Große Jäger.«
    Trotzig schob er sein Kinn vor und trank sein Glas in
einem Zug leer.
    Es war nicht das letzte Glas, das an diesem Abend an
ihrem Tisch serviert wurde.

FÜNF
    Die Männer waren alle schwarz gekleidet. Das kam erschwerend
zu den dunstigen Schleierwolken hinzu, die das unübersichtliche Gelände
einhüllten. Sie huschten lautlos zwischen den undefinierbaren Gegenständen
umher, die überall herumlagen. Es mochten große Kisten gewesen sein, die mit
seltsamen dunklen Tüchern abgedeckt waren.
    In diese unwirkliche Stille hinein zuckten immer
wieder unvermittelt die Mündungsblitze von Handfeuerwaffen auf und verursachten
einen Höllenlärm. Niemand hatte mehr den Überblick, wer hier eigentlich gegen
wen kämpfte. Es schien, als würde jeder seinen individuellen Kampf führen,
gnadenlos den durch das Halbdunkel jagenden Kugeln ausgesetzt. Doch die diffuse
Beleuchtung hatte auch ihre Vorteile. Sie bot nicht nur Deckung zum eigenen
Schutz, sondern legte auch einen gnädigen Mantel über die Dunkelgekleideten,
die sich dem Sperrfeuer dieses wilden Kampfes nicht rechtzeitig hatten
entziehen können. Merkwürdigerweise waren aber die Getroffenen nicht zu sehen.
Keines der armen Opfer hatte einen Laut von sich gegeben. Ihre Seelen hatten
sich still von dieser Erde verabschiedet.
    Christoph stand etwas abseits des Kampfgeschehens. Er
griff nicht direkt ein, sondern versuchte nur, den durch die Luft sirrenden
Geschossen auszuweichen.
    Von weit her hörte er eine Kirchenglocke. Erst ganz
leise. Dann wurde die Glocke lauter. Im gleichen Maße, wie der Ton anschwoll,
veränderte er sich vom vollen Klang der Bronze hin zu einem immer hässlicher
werdenden elektronischen Zirpen.
    Vorsichtig drehte Christoph den Kopf in Richtung des
Geräusches. Mit Mühe konnte er unter den nur zu einem Schlitz geöffneten
Augenlidern den Wecker erkennen, der dieses hässliche Geräusch von sich gab.
    Bruchstückhaft kam die Erinnerung zurück, allerdings
in so kleinen Partien, dass es für ein aussagefähiges Alibi zu wenig gewesen
wäre, wenn man ihn hätte festnageln wollen. Vage tauchte ein Bild vor ihm auf: Schwankend bewegte er sich durch die feuchtkalte Winternacht zu dem kleinen
Siedlungshäuschen, in dem er ein möbliertes Appartement bewohnte. Jemand musste
in der Zwischenzeit am Türschloss manipuliert haben. Zuvor hatte es nie
Probleme gegeben, die Tür zu öffnen, aber heute Nacht war es ihm erst nach
wiederholten Versuchen gelungen.
    Die bösen Feinde hatten überall gelauert, sogar die
schmale Treppe ins Obergeschoss hatten sie mit Schmierseife eingerieben. Als
Folge des Gepolters war schließlich ein mit einem rosafarbenen Morgenmantel und
Nachtmütze gekleideter Geist erschienen, der sehr viel Ähnlichkeit mit

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