Tod in der Marsch
viele
unterschiedliche Ämter vom Finanzamt über das Arbeitsamt bis hin zur
Gewerbeaufsicht an diesem Betrieb interessante Auffälligkeiten entdecken
würden, und wies dann auf die linke Tür. »Und dort?«
»Das ist ein Gästezimmer«, entgegnete der Gutsherr.
Die Tür war nicht verschlossen. In dem winzigen Raum
standen zwei ungemachte Schlafgelegenheiten, ein wackeliger Blechtisch und zwei
einfache Holzstühle. Auf einem Wandbord sahen sie die wenigen
Hausratsgegenstände sowie einige Vorräte. Als Kochgelegenheit diente ein
kleiner Elektrokocher mit zwei rostigen Platten.
Kleidungsstücke lagen in Ermangelung eines Schrankes
über die Pritschen verstreut, denn richtige Betten waren es keine. Auf dem
fleckigen Wollteppich standen ein paar leere und zwei ungeöffnete Bierflaschen
aus Kunststoff sowie eine halb volle Wodkaflasche.
Im Raum roch es schal nach dem Inhalt des nicht
entleerten Aschenbechers. Die einzige Unterhaltungsmöglichkeit bot ein
billiger, aber noch nicht sehr alt aussehender Radiorekorder.
Im Vergleich zur peniblen Sauberkeit in den Ställen
war diese Unterkunft für menschliche Wesen eine absolute Zumutung.
»Das nennen Sie Gästezimmer?«
Von Dirschau zuckte nur die Schultern. »Gibt es
irgendwelche festgeschriebenen Regeln, in denen definiert ist, wie Gästezimmer
zu gestalten sind?«
»Das wird zu klären sein«, entgegnete Christoph. Er
hatte nicht die Absicht, sich mit von Dirschau auch noch zu diesem Thema auf
eine Diskussion einzulassen.
Christoph hob mit den Fingerspitzen vorsichtig ein
Kleidungsstück auf und besah sich das eingenähte Etikett. Es war in einer ihm
unbekannten Sprache verfasst, die auf ein osteuropäisches Land schließen ließ.
Auf der Wodkaflasche, die er, ohne sie zu berühren, in
Augenschein nahm, war als Herstellungsland Polen zu erkennen.
»Haben Sie hier Ihre polnischen Arbeiter untergebracht?«,
wollte Christoph wissen.
»Ich habe keine polnischen Arbeiter. Das habe ich
Ihnen schon einmal erklärt. Das sind Gäste, die ein wenig in ihrer Freizeit auf
dem Hof behilflich sind.«
Große Jäger war es leid, sich weiterhin die
unverblümten Lügen anzuhören. Und wenn der kleine Absatz am Kopf der
Eisentreppe sowie der winzige Flur nicht zu beengt gewesen wären, hätte er in
diesem Augenblick von Dirschau sicher handfest am Revers gepackt – zu dessen
Glück gestattete die räumliche Enge aber lediglich eine verbale Attacke.
»Wollen Sie nicht endlich mit Ihrer verdammten Lügerei
aufhören?«, bellte er den Gutsherrn an.
Von Dirschau bewies Stehvermögen und ließ sich diesmal
nicht durch den Anwurf des Oberkommissars beeindrucken.
»Es ist an Ihnen, Gegenteiliges zu beweisen.«
»Das werden wir auch.« Große Jäger war wütend. Man
merkte ihm an, dass von Dirschau das obere Maß seiner Reizschwelle erreicht
hatte.
»Und was ist hier?« Christoph wies auf die mittlere
Tür.
»Da wohnt ein Freund meines Sohnes.«
Christoph klopfte. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet.
»Ja, bitte?« Es war eine freundliche Stimme,
wohlakzentuiert, die aber ihren fremdländischen Klang nicht verhehlen konnte.
Sie gehörte zu einem mittelgroßen Mann mit hellbraunem Teint. Gepflegte
schwarze Haare lagen über der faltenlosen Stirn, die sich über zwei großen,
dunklen Augen wölbte. Er trug eine Goldrandbrille.
Der Mann sah irritiert auf die bunt gemischte
Personengruppe, die ihm gegenüberstand.
Christoph fingerte seinen Dienstausweis hervor. »Mein
Name ist Johannes. Ich bin Hauptkommissar bei der Kripo in Husum. Darf ich Sie
um Ihren Namen bitten?«
»Selbstverständlich«, sagte der Mann, »mein Name ist
Mehmet Yildiz.«
»Der Türke !«, entfuhr es Große Jäger, der
diesem Dialog bisher still gefolgt war.
»Nein, Herr Yildiz ist kein Türke. Das habe ich Ihnen
immer wieder erzählt, dass es hier keinen Türken gibt.« Von Dirschau hatte
ungefragt geantwortet. »Ich habe Ihnen mehrmals erklärt, ich kenne keinen
Türken. Und hier wohnt auch keiner«, bekräftigte er.
»Sie sind kein türkischer Staatsbürger, Herr Yildiz?«,
fragte Christoph und fügte fast entschuldigend hinzu, »obwohl bei diesem Namen
die Vermutung nahe liegen könnte.«
Der Mann zeigte eine Reihe gesunder weißer Zähne. »Ich
bin deutscher Staatsbürger«, sagte er.
Mehr zu sich selbst entfuhr es Große Jäger: »Heiliger
Strohsack, da sollst du erst einmal draufkommen. Da hätten wir uns totsuchen
können.«
»Eine ausgesprochen spitzfindige Interpretation, über
die es noch
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