Tod in der Marsch
zu diskutieren gilt«, bemerkte der sonst eher stille Mommsen.
Das »Phantom« des Türken hatte jetzt ein Gesicht
bekommen.
Es gab viele offene Fragen, zu denen sie eine Antwort
suchten. Dabei konnte dieser freundlich aussehende Mann möglicherweise
behilflich sein.
»Herr von Dirschau, würden Sie uns wohl allein lassen?«,
bat Christoph den Gutsbesitzer.
Der verharrte immer noch in seiner ursprünglichen
Positur mit in die Hüfte gestemmten Fäusten.
»Warum? Dies ist mein Grund und Boden«, stellte er
sich stur.
»Soll ich Sie von den beiden Kollegen von der Streife
entfernen lassen?«
Mit den bereits sattsam bekannten Drohungen, dass
alles Konsequenzen für die Beamten haben würde, stieg von Dirschau die schmale
Eisentreppe hinab.
»Herr Yildiz, wir ermitteln in der Mordsache einer
jungen Frau, die hier in der Gemarkung von Marschenbüll aufgefunden wurde.
Haben Sie davon gehört?«
Der Mann schluckte heftig, er machte nicht einmal den
Versuch, seine Betroffenheit zu verbergen.
»Ja, ich kannte Anne Dahl.« Er schluckte erneut. Mit
belegter Stimme fügte er an: »Sehr gut sogar.«
»Sie können sich vorstellen, dass wir im Zusammenhang
mit dieser Tat eine Reihe von Fragen haben.«
Christoph sah sich in der kleinen Kammer um, in der
Mehmet Yildiz lebte. Sie hatte die gleiche Größe wie der zweite Raum. Es gab
eine Schlafgelegenheit, auf der ordentlich eine Tagesdecke lag. Ein
gepolsterter Sessel stand in der Ecke, daneben ein Beistelltisch. Die
Ausstattung wurde vervollständigt durch einen kleinen Schrank und einen
kombinierten Ess- und Arbeitstisch mit einem einfachen Stuhl.
Eine Stehlampe verbreitete ein warmes Licht. Sie
hatten Yildiz beim Lesen überrascht. Das Buch lag aufgeschlagen neben einer
halb vollen Tasse Tee.
Lesen schien ohnehin die bevorzugte Beschäftigung
dieses Mannes zu sein. In seinem engen Reich waren an allen geeigneten Stellen
Bücher gestapelt.
»Herr Yildiz, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir
die vielen Fragen die wir an Sie haben, auf unserer Dienststelle in Husum
klären würden?«, fragte Christoph.
Der Mann nickte sofort. »Selbstverständlich, wenn ich
Ihnen behilflich sein kann. Wie lange wird das etwa dauern?«
Die Kriminalbeamten sahen einander an.
»Das können wir noch nicht sagen. Das wird vom Verlauf
des Gesprächs abhängen«, übernahm Große Jäger die Antwort.
»Ich frage, weil ich wieder nach Marschenbüll
zurückmuss.«
»Haben Sie kein Auto?«, wollte Christoph wissen.
Yildiz schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe weder ein
Auto noch einen Führerschein.«
»Sie meinen, Sie haben keinen deutschen Führerschein«,
korrigierte Christoph lächelnd.
Der Mann bekräftigte durch erneutes Kopfschütteln
seine vorherige Bemerkung. »Nein, ich kann nicht Auto fahren.«
Große Jäger war erstaunt. »Sie wollen damit sagen, Sie
haben noch nie ein Auto gefahren?«
»Richtig! Ich verstehe davon absolut nichts, auch wenn
es Ihnen außergewöhnlich erscheinen mag. Es hat mich auch nie interessiert. Ich
habe bisher jedes Ziel auch ohne Auto erreicht.«
»Wir werden dafür Sorge tragen, dass Sie anschließend
wieder nach Hause kommen«, sicherte Christoph dem Mann zu.
Große Jäger brummelte vor sich hin: »Vielleicht
erübrigt sich ja auch die Rückfahrt.«
»Wir würden Sie bitten, mit unseren Kollegen im
Streifenwagen nach Husum zu fahren«, erklärte Christoph Herrn Yildiz. »Haben
Sie etwas dagegen, wenn sich unsere Kollegen in der Zwischenzeit ein wenig
umsehen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich habe nichts zu verbergen«,
willigte der Mann ein.
Sie verließen die schlichten Unterkünfte, die von
Dirschau als Gästezimmer bezeichnete, und stießen am Fuß der schmalen Treppe
auf den unruhig wartenden Gutbesitzer.
»Und was ist nun?«, wollte dieser wissen.
»Das werden Sie schon sehen.« Christoph war nicht
willens, ihm etwas zu erklären.
»Haben Sie den Türken nun verhaftet?«, hakte von Dirschau
nach.
»Wieso sprechen Sie jetzt plötzlich von dem Türken,
obwohl Sie uns die ganze Zeit über weismachen wollten, dass Ihnen kein solcher
Mann bekannt ist?«
Von Dirschau sah Christoph gerade in die Augen. »Ich
habe Ihnen schon einmal gesagt, dass ich Sie nicht für fähig genug halte. Sie
arbeiten unpräzise, Sie fragen ungenau. Korrekterweise handelt sich bei Herrn
Yildiz um einen Deutschen und nicht um einen Türken. Diese formaljuristische
Tatsache ändert aber nichts an den ethnischen Fakten.«
Diesen hässlichen Dialog schloss
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