Tod in der Marsch
bin also ausgestiegen und rasch zu meiner Behausung gegangen. Anne
und Lisa wollten nachkommen.«
»Sind die beiden Ihnen gefolgt?«
Wiederum nickte Yildiz. »Ja, sie kamen etwa zehn
Minuten nach mir an. Anne erzählte, dass sie Sarah Stamm, die Tochter des
Gastwirts, getroffen hätte. Die beiden haben ein paar Worte miteinander
gewechselt.«
»Und weiter?«
Yildiz atmete erneut tief durch. »Die beiden sind
direkt zu meinem Zimmer über dem Stall gekommen. Ich habe sie gefragt, ob sie
jemandem begegnet wären, aber Anne verneinte. Wir haben uns kurz in meinem Zimmer
aufgehalten, aber die kleine Lisa drängte sehr danach, zu den Tieren in den
Stall zu kommen.«
»Und dann sind Sie mit den beiden in den Stall
gegangen?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin mit Lisa
durch den rückwärtigen Eingang in den Stall gegangen, das ist jene Tür, die
weit entfernt vom Wohnhaus ist. Ich hatte zuvor mit Heinz gesprochen. Heinz
Schmidt«, fügte er erklärend ein, »das ist der ältere der beiden polnischen
Arbeiter, die bei von Dirschau auf dem Hof arbeiten. Heinz hat Lisa dann den
Stall gezeigt.«
Yildiz sah zu Boden. Er wippte leicht mit den
Zehenspitzen.
»Sie haben das Kind mit dem polnischen Kollegen allein
gelassen?«
Yildiz nickte. Ein gequältes leises »Ja« kam über
seine Lippen.
»Und was haben Sie dann gemacht?«, fragte Christoph.
Jetzt sah der Mann in die Runde.
»Ich bin wieder zurück in meine Kammer.«
»In der Anne Dahl immer noch war?«
Wieder nickte Yildiz.
»Und was geschah dann?«
»Wir waren in meinem Zimmer.«
»Sie und Anne Dahl?«
»Ja.«
»Allein?«
Yildiz nickte erneut.
»Mann, so lassen sie sich doch nicht jedes Wort aus
der Nase ziehen«, fuhr ihn Große Jäger an.
Trotzig schob der Türke seinen Unterkiefer vor, sah
den Oberkommissar an und presste fest die Lippen aufeinander, um zu
signalisieren, dass er nun nicht mehr bereit war, weiter zu berichten.
»Herr Yildiz! Was ist dann geschehen?«
»Dann ist etwas Unfassbares geschehen«, flüsterte der
in sich zusammengesunkene Mann, »etwas, das nie hätte passieren dürfen.«
»Was ist geschehen?«
Yildiz nagte an seiner Unterlippe, bis er schließlich
die Hände vors Gesicht hielt. Zwischen den leicht gespreizten Fingern presste
er hervor: »Dann … dann … haben wir miteinander … geschlafen!«
In die Stille hinein ertönte ein klatschendes
Geräusch. Alle im Raum sahen auf Große Jäger, der sich mit der flachen Hand an
die Stirn geschlagen hatte.
»So ein Aufheben für nichts und wieder nichts«,
stöhnte der Oberkommissar, »da pennt der Typ mit einer Frau und macht daraus
eine Geschichte, als wenn …« Er ließ das Ende offen.
»Sie haben anscheinend keine Vorstellung davon, was es
für jemanden mit meiner Erziehung bedeutet, mit einer verheirateten Frau intim
zu sein«, zischte Yildiz heftig. »Ehre und Achtung vor der Frau gebietet es nun
einmal, ihre Würde nicht für einen kurzen Augenblick fleischlicher Lust in
Frage zu stellen. Ich schäme mich dafür. Ja«, sagte der Mann aufgebracht, »es
war nicht geplant, aber es hat sich so ergeben. Ich hätte Anne nie Gewalt
angetan oder sie genötigt.«
Jetzt wussten sie, mit wem Anne Dahl vor ihrem Tod
Geschlechtsverkehr gehabt hatte, vorausgesetzt, es gab nicht noch einen
weiteren Mann. Der Obduktionsbefund hatte nur von einer intimen Begegnung
gesprochen. Christoph wollte Yildiz gerade ermutigen, weiterzuberichten, als
dieser von sich aus den Faden wieder aufnahm.
»Wir haben danach eine Weile schweigend Arm in Arm
gelegen. Anschließend hat Anne sich angezogen, mir wortlos einen zarten Kuss
gegeben und sich mit den Worten verabschiedet, sie wolle nach ihrer Tochter
schauen. Das war das Letzte, was ich von ihr gesehen habe.« Jetzt liefen ihm
Tränen die Wangen herab.
Christoph erklärte dem Mann, dass sie ihn unter den
gegebenen Umständen vorerst in Gewahrsam behalten müssten. Yildiz nickte nur
stumm und ließ sich widerstandslos von einem uniformierten Kollegen abführen.
»Kümmerst du dich um die erkennungsdienstliche
Aufnahme? Wir sollten ferner Dr. Hinrichsen bitten, noch einmal
vorbeizuschauen, um Yildiz eine Blutprobe für das Labor zu entnehmen. Dann
sollten wir prüfen lassen, ob die Spermaspuren, die wir bei der Toten gefunden
haben, von ihm stammen«, bat Christoph Mommsen.
»Selbstverständlich, kein Problem.«
Große Jäger sollte die beiden polnischen Landarbeiter
vernehmen.
SECHS
Obwohl Christophs Körper das Bedürfnis
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