Tod in der Marsch
Dahl atmete Christoph noch
einmal tief durch und betrat das Haus, nachdem ihm der Summer die Tür geöffnet
hatte.
Dahl erwartete ihn am Treppenabsatz. Sein Gesicht war
von den Ereignissen der letzten Zeit tief gezeichnet.
»Ach, Sie sind’s. Kommen Sie rein«, begrüßte er
Christoph, drehte sich um und ging in die Wohnung zurück. Christoph folgte ihm
in die Wohnküche und nahm am Küchentisch Platz. Dahl zündete sich eine
Zigarette an.
»Gibt’s was Neues?«, fragte er matt.
Christoph antwortete nicht direkt.
Sein Gegenüber winkte ab. »In der letzten Zeit hat
mich das Schicksal arg geprügelt. Ich glaub, ich will nichts Neues mehr hören.«
Christoph schluckte tief. Er suchte nach geeigneten
Worten.
»Haben Sie wieder ‘ne schlechte Nachricht für mich?«
»Es gibt Aufgaben in meinem Beruf, die zu den
schwersten gehören, die einem zufallen können«, begann Christoph vorsichtig.
Der Tonfall ließ Dahl aufhorchen. Er hielt seine
brennende Zigarette über die Tischplatte und achtete nicht auf die sich langsam
vor der Glut bildende Asche, die herunterzufallen drohte.
Dann nahm er einen Schluck Kaffee aus einem bunten
Becher. Er setzte das Trinkgefäß hart auf den Tisch zurück.
»Lisa?«
Christoph nickte.
»Herr Dahl, es ist anzunehmen, dass … Aber noch haben
wir keine abschließende Gewissheit«, stammelte er.
Dahl fixierte einen imaginären Punkt an der Wand.
»Lisa ist tot«, flüsterte er.
Christoph nickte erneut. Er war froh, dass ihm die
Antwort abgenommen worden war.
In diesem Augenblick hörten sie einen Schlüssel in der
Wohnungstür. Schlurfende Schritte näherten sich der Wohnküche. Kurz darauf
erschien der alte Herr Grün im Türrahmen.
»Entschuldigen Sie, aber ich habe Sie vorhin kommen
hören.« Er zeigte auf Dahl. »Peter hat mir einen Wohnungsschlüssel anvertraut.
Ich kümmere mich ein wenig um ihn.«
Dahl sah zu ihm auf. Er hatte Tränen in den Augen.
Ohne weitere Worte verstand der Alte.
»Lisa?«, fragte er Christoph.
Leo Grün trat hinter Dahls Stuhl und legte ihm seine
Hand auf die Schulter. Mit der anderen strich er ihm vorsichtig über das Haar.
»Kann ein Mensch so viel auf einmal verkraften? Können
Sie mir sagen, wer diese Welt so lenkt, dass dieses Unheil über ein Haupt eines
einzelnen Menschen abgeladen wird? Kann Gott so ungerecht sein, einen Tag vor
Weihnachten diesen Mann so zu strafen?«
Christoph konnte nichts darauf erwidern.
»Wer auch immer Schicksal spielt«, gab er schließlich
zur Antwort, »es war nicht Gott, sondern die Hand eines Menschen. Wir kennen
bisher nicht einmal ein Motiv. Mit dem Verstand und dem Gefühl eines normal
entwickelten Menschen kann man es nicht verstehen.«
»Sie müssen diese Bestie finden.« Leo Grün war bei
seinem emotionslosen Tonfall geblieben.
»Wir werden alles daran setzen, die Person zur
Rechenschaft zu ziehen, die diese Familie zerstört hat«, versicherte Christoph.
»Derjenige, der zwei unschuldige Leben ausgelöscht hat, wird seinem irdischen
Richter nicht entgehen.«
»Und seinem göttlichen erst recht nicht!«, ergänzte
der alte Mann.
Das Gespräch war an Peter Dahl vorbeigegangen. Der
Mann saß völlig apathisch auf seinem Stuhl, und die Asche war inzwischen auf
den Tisch hinabgefallen. Zwischen den Fingern hielt er die erloschene
Zigarettenkippe.
*
Im Büro herrschte eine gedrückte Atmosphäre. Harm
Mommsen war mit administrativen Aufgaben beschäftigt, während Große Jäger an
seinem Schreibtisch saß und ein Blatt Papier mit Strichen und Anmerkungen
versah.
»Ich habe versucht, die Beziehungen aller Beteiligten
untereinander darzustellen«, erklärte er. »Aber das Motiv fehlt uns immer noch.
Warum mussten Mutter und Tochter sterben? Ein Raubmord scheidet aus. Die Dahls
hatten kein Vermögen. Es bestand nicht einmal eine Lebensversicherung für Anne
Dahl. Somit gibt es kein finanzielles Motiv.«
»Eine Sexualstraftat ist zumindest bei der Mutter
unwahrscheinlich. Die Aussage von Mehmet Yildiz und sein Eingeständnis, dass
Anne Dahl kurz vor ihrem Tod freiwillig mit ihm geschlafen hat, könnte zwar
eine Schutzbehauptung sein, wenngleich die Autopsie keine Anzeichen für eine
Gewaltanwendung ergeben hat. Warum ist die Frau offensichtlich grundlos mit dem
Golfschläger ermordet worden?«
Christoph sah eine Weile aus dem Fenster, bevor er
fortfuhr. »Nun bleiben noch die Auswertungen der Spuren beim Fundort des Kindes
abzuwarten, ebenso der Befund der Autopsie. Es gibt keine
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