Tod in der Marsch
Vielleicht
veranlasste das bevorstehende Weihnachtsfest den Familienvater, aus einer
besonderen Sentimentalität heraus, sich zu stellen.
Außerdem hatte Christoph vor, noch einmal von Dirschau
aufzusuchen. Noch hatte er keine Idee, mit welcher Taktik er diesem Mann
begegnen wollte. Zumindest war die Frage nach der Verwendung der Golfschläger
von Bedeutung.
Es war später Nachmittag geworden. Deshalb drängte
Christoph Mommsen, nach den anstrengenden letzten Tagen die Gelegenheit
wahrzunehmen und heute einmal nach nur neun Stunden dem Dienst zugunsten
privater Interessen den Rücken zu kehren.
Christoph sah auch Große Jäger an, der in seiner Lieblingspose
an seinem Schreibtisch thronte, die Füße mit den ungeputzten Schuhen auf einer
herausgezogenen Schublade geparkt.
»Du solltest auch Feierabend machen.«
Als er aber in das Gesicht seines Kollegen blickte und
den kampfeslustigen Blick gewahrte, winkte Christoph nur müde ab und murmelte: »Ach was! Bei dir hat es doch keinen Zweck!«
Die Pressekonferenz war für siebzehn Uhr anberaumt.
Als er sich dem Besprechungsraum näherte, hörte Christoph schon von weitem die
Geräuschkulisse der wartenden Journalisten.
Der Raum war bereits gut gefüllt. An der hinteren Wand
war eine Kamera aufgebaut. Vorn standen drei Einzeltische, auf denen Mikrofone
installiert waren, die mit ihren bunten Aufdrucken auf das regionale Fenster
des Fernsehens, den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk sowie zwei private Sender
hinwiesen.
Die Plätze waren mit Namensschildern versehen. Links
sollte Kriminalrat Dr. Starke sitzen, rechts Oberrat Grothe. Die Mitte war für
Oberstaatsanwalt Dr. Breckwoldt aus Schleswig reserviert.
Christophs kurzer Gruß, als er den Raum betrat, wurde
von den in Gespräche verwickelten Anwesenden kaum wahrgenommen und nur von
wenigen mit einem freundlichen Nicken oder Aufblicken quittiert.
Er suchte sich einen Platz in der hinteren Reihe.
Kurz darauf betraten die drei avisierten Herren den
Raum und nahmen an der Stirnseite Platz.
Der Oberstaatsanwalt begrüßte kurz die Anwesenden,
stellte seine beiden Partner zur Linken und zur Rechten vor und eröffnete
formell die Pressekonferenz.
Dr. Breckwoldt war ein hoch gewachsener Mann mit
scharf geschnittenen Gesichtszügen und wachsamen flinken Augen. Das grau
melierte wellige Haar rundete, in Kombination mit seiner gepflegten
Erscheinung, das Bild ab und verlieh ihm schon vom Äußeren her einen
respektablen Eindruck. Mit einer dunkel gefärbten, angenehmen Stimme schilderte
er den bisherigen Verlauf, beginnend beim Mord an Anne Dahl bis hin zu der
grausigen Entdeckung des heutigen Tages. Er ließ dabei nicht unerwähnt, welch
tiefes Mitgefühl er und seine beiden Beisitzer für die Hinterbliebenen
empfanden, und drückte die Abscheu gegenüber einer solchen Tat aus.
Routiniert kleidete er geschickt und medienwirksam den
ganzen Sachverhalt in eine rhetorisch gekonnte, aber dennoch sachliche
Darstellung.
Zum Abschluss seiner Ausführungen wandte er sich
zuerst an Oberrat Grothe mit der Frage, ob dieser noch ergänzende Anmerkungen
beizutragen hätte. Nachdem dieser verneint hatte, gab der Oberstaatsanwalt das
Wort an Dr. Starke weiter.
Der Kriminalrat räusperte sich effektvoll und griff
sich dabei theatralisch an den Kehlkopf.
»Die unter meiner Leitung stehende Kommission arbeitet
fieberhaft an der Klärung dieses grausamen Doppelmordes«, begann er.
Sogleich unterbrach ihn einer der anwesenden Reporter: »Wieso Doppelmord? Es gibt doch eine größere zeitliche Verschiebung zwischen
den beiden Leichenfunden. Wie erklären Sie sich das?«
Diese Zwischenfrage brachte den Kriminalrat
offensichtlich aus dem Konzept. Mit einem »Ähhh« überbrückte er den peinlichen
Augenblick, fuhr dann aber mit der Anmerkung, es gebe gesicherte Erkenntnisse
über die Zusammenhänge, fort.
Christoph zuckte in seiner Ecke zusammen. Natürlich
lag die Vermutung nahe, dass die beiden Straftaten zusammenhingen, aber es gab
keine abgesicherten Fakten.
Dr. Starke ließ weiterführende Fragen des Journalisten
mit dem Hinweis, aus polizeitaktischen Gründen wäre eine Beantwortung nicht
angezeigt, unbeantwortet.
Christoph verspürte mehr als Unbehagen, während er dem
weiteren Verlauf der Pressekonferenz folgte und seinen Vorgesetzten miterleben
durfte, der im Bestreben, ein nicht vorhandenes Detailwissen vorzutäuschen, auf
die vorgetragenen Fragen mit einer einzigartigen Mischung aus erwiesenen
Tatsachen,
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