Tod in der Marsch
ungesicherten Vermutungen und reinen Spekulationen den Wissensdurst
der Reporter zu befriedigen suchte.
Das unruhige Wechselspiel aus Frage und Antwort wurde
unterbrochen, als der Reporter eines Radiosenders in den Raum hineinrief: »Stimmt es, dass den Taten möglicherweise ein Bezug zur Asylanten- oder
Ausländerszene zugrunde liegt?«
Konzentriert blickten alle auf den Oberstaatsanwalt.
Dr. Breckwoldt setzte eine ernste Miene auf und
zögerte einen Moment mit der Antwort.
»Im Zusammenhang mit den Ermittlungen ist die Polizei
auch auf Spuren gestoßen, die zu ausländischen Mitbürgern führen.« Der
Oberstaatsanwalt verfügte über die Erfahrung und das Fingerspitzengefühl,
vorsichtig die bekannten Fakten darzulegen, ohne gleichzeitig der Presse Anreiz
für reißerische Schlagzeilen zu liefern.
Ein durch sein verwegenes Äußeres hervortretender Reporter
hakte nach. Er suchte nach Bestätigungen, dass – so formulierte er ohne jedes
Feingefühl – unzivilisierte Ausländer wie wilde Tiere über einheimische Frauen
herfielen.
Dr. Breckwoldt ließ sich nicht aufs Glatteis führen.
Mit scharfer Stimme wies er jeden Verdacht in diese Richtung energisch zurück.
Ein anderer Journalist wollte wissen, ob es weitere
Spuren gebe.
Mit einer Handbewegung erteilte der Vertreter der
Staatsanwaltschaft dem Kriminalrat das Wort.
»Ja!« Klar und deutlich kam dieses Wort über Starkes
Lippen.
Christoph ahnte, auf welchen Punkt sein Vorgesetzter
anspielte.
Zu seinem großen Entsetzen begann Starke zu berichten,
dass in der Nähe des Ortes der Gewalttaten ein früher wegen sexuellen
Missbrauchs und Gewaltanwendung gegen Frauen vorbestrafter Mann wohnen würde,
den die Polizei routinemäßig befragt hätte.
Seitdem, so der Kriminalrat, hätte sich dieser Mann
einer weiteren Befragung durch Flucht entzogen.
Die Reporter hatten nun doch ihre Sensation. Dr.
Starke hatte ihnen gerade die Schlagzeile für die nächste Ausgabe geliefert.
Alle anderen Informationen wurden durch diese unfundierte und
sensationsheischende Meldung überschattet.
Dem Oberstaatsanwalt schwollen die Zornesadern. Seine
Kiefer mahlten aufeinander. Christoph glaubte trotz des jetzt entstandenen
Tumults das Knirschen seiner Zähne hören zu können. Selbst Oberrat Grothe, der
bisher der ganzen Veranstaltung schweigend gefolgt war, zeigte Ärger. Nur
Kriminalrat Dr. Starke schien nicht bemerkt zu haben, welche Lawine er mit
seinen unbedachten Äußerungen losgetreten hatte.
Dr. Breckwoldt versuchte noch einmal, ein Schlusswort
zu formulieren, doch niemand hörte mehr zu. Resigniert verließ der
Oberstaatsanwalt, gefolgt von den beiden anderen Herren, die Konferenz.
In Windeseile hatte sich der Raum geleert, nur die
Techniker des Fernsehens und der Rundfunksender waren noch mit dem Abbau ihrer
Gerätschaften beschäftigt.
Langsam ging Christoph zu seinem Dienstzimmer zurück.
Er konnte es nicht fassen. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass sich ein
verantwortlicher Polizeibeamter zu einer solchen Dummheit würde verleiten
lassen.
Große Jäger saß am Schreibtisch und sah ihn fragend
an. Mit kurzen Worten informierte Christoph seinen Kollegen über den Verlauf
der Pressekonferenz
Es war früher Abend. Sie beschlossen, in der Cafeteria
eines Kaufhauses am Marktplatz eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen.
Als sie das Dienstgebäude verließen, spürten sie den
eiskalten Wind, der gedreht hatte und nun von Land her, aus Osten,
herüberwehte. Der Sturm hatte an Stärke eingebüßt, trotzdem war es unangenehm
kalt. In diesen Breitengraden gab es selten extreme Temperaturen. Die
Meteorologen unterschieden nach tatsächlicher und gefühlter Temperatur.
Subjektiv empfand Christoph den nasskalten Ostwind als arktisch.
Sie näherten sich mit raschen Schritten dem
Stadtzentrum und bahnten sich einen Weg durch die vielen Menschen, die in
Hektik ihre Feiertagsbesorgungen erledigten. Die Cafeteria war gut besucht,
doch sie fanden noch einen freien Tisch.
Christoph stocherte in seinem Essen herum. Er hatte
eine Spezialität des Hauses geordert, das Halligbrot. Auf einem kräftigen
Schwarzbrot türmte sich eine handfeste Portion würziger Nordseekrabben. Das
Ganze wurde garniert durch zwei Spiegeleier. Es sah zwar appetitlich aus, konnte
Christoph aber nicht wirklich begeistern.
An den Tischen um sie herum schnatterten einkaufsmüde
Hausfrauen, junge Leute auf Stadtbesuch und ältere Paare. Inmitten des hohen
Geräuschpegels vernahm Christoph kaum
Weitere Kostenlose Bücher