Tod in der Walpurgisnacht
selbst.
Es war kein Problem, den Elektrikerbetrieb von Rosenkvist zu finden, denn er war schon mal da gewesen. Der Laden lag am Rande der Gemeinde, in einem von einem hohen Maschendrahtzaun eingefriedeten, barackenähnlichen Gebäude. Die Tore standen offen. Auf dem Parkplatz stand ein weißer Peugeot, das Kennzeichen stimmte mit den Angaben der anonymen Anruferin überein. Für die Baustelle wurden wahrscheinlich Firmenwagen mit Ladefläche benutzt.
Er bog ein und parkte neben dem weißen Peugeot, stieg aus und stellte fest, dass hier kein Mensch zu sehen war. Auf dem Grundstück nebenan stand ein ähnliches Haus, wenn auch gelb angestrichen, in dem offenbar ein Klempnerbetrieb ansässig war. Eine kleinere Baracke ohne Fenster duckte sich auf der Rückseite des Grundstücks an den Zaun, davor lag ein offener Platz, und dann kam das größere Gebäude, in dem die Firma untergebracht war. Nach den Schildern an der Tür zu urteilen, war die Baracke eine Abstellkammer, und Lerde ging davon aus, dass große Teile des neueren Gebäudes als Lager dienten.
Er öffnete die Tür zum Büro, und dort saß eine junge Frau hinter dem Schreibtisch. Hinter ihr ein Bücherregal mit Akten. Müde und unfreundlich starrte sie ihn an.
»Womit kann ich dienen?«, fragte sie, als ob sie in der Firma so viel zu tun hätten, dass sie neue Aufträge unbedingt abwimmeln musste.
Er sagte, er wollte Pär Rosenkvist sprechen, erwähnte aber nicht, dass er Polizist war.
»Der ist auf Arbeit«, sagte sie mit tonloser Stimme und blieb auf dem Stuhl sitzen. Sie sah aus, als ob sie eigentlich sagen wollte: »Was glauben Sie eigentlich?«
Lerde hatte nichts anderes erwartet, selbstverständlich war der Besitzer der Firma unterwegs.
»Wann wird er zurückkommen?«, fragte er und blickte gleichzeitig in den Raum schräg hinter dem Schreibtisch. Das war eine Art Lager mit Sicherungskästen und Kabeln in verschiedenen Größen auf großen Rollen, dazu noch vieles andere, was er nicht identifizieren konnte.
»Keine Ahnung«, antwortete sie gleichbleibend tonlos. »Ist es wichtig? Warum rufen Sie ihn nicht auf dem Handy an?«
Sie angelte nach einer Visitenkarte mit Rosenkvists Adressdaten, die er gehorsam entgegennahm. Die Frau war um die dreißig und hatte ein blasses, langes Gesicht, dicht beieinanderliegende Augen und ungleichmäßig geschnittenes, mittelbraunes Haar. Lerde fand die Frisur sehr unkleidsam. Irgendwie fehlte es ihr an Ausstrahlung. Sie trug einen hellrosa Pullover, der über einem anständigen Körper eng anlag. Sie wirkte vollkommen desinteressiert. Lerde war fasziniert. Sie fragte nichts.
Am Ende konnte er sich nicht beherrschen und hinterließ ihr seine Karte mit dem Polizeilogo und allen Kontaktdaten.
»Sie können ihm ausrichten, dass ich wieder von mir hören lasse«, sagte er und ging zur Tür, während die Frau stur auf die Visitenkarte glotzte.
An der Tür nickte er ihr zu. Ihre Wangen erröteten. Sie befeuchtete ihre Lippen. Mit Farbe im Gesicht war sie ein bisschen niedlicher, dachte er und schloss die Tür.
Er umrundete das Gebäude. Es gab keinen Keller, das Haus stand direkt auf dem Grund. Er zog an einigen Türen, die meisten waren verschlossen und führten wahrscheinlich zu irgendwelchen Lagern. Ein Teil des Parkplatzes hatte ein Wellblechdach, unter dem vermutlich nachts, wenn die Tore abgeschlossen waren, die Firmenwagen abgestellt wurden. Daneben stand eine kleinere Baracke, sie war komplett verrammelt.
Das Wunder geschah, dass Lerde in Kristdala ein geöffnetes Café fand. Er entschied sich für Kaffee und ein Baguette, auf dem zwischen Schinken und Käse ein paar Tomatenscheiben eingeklemmt waren, und setzte sich ans Fenster.
Das Café wirkte kahl, als ob es erst kürzlich bezogen worden war. Zwei Halbwüchsige saßen sich in riesigen Jacken gegenüber und schwiegen sich an. Sollten die nicht arbeiten oder in der Schule sein? Die Jugendarbeitslosigkeit war etwas ganz Schlimmes, fand er. Ohne Arbeit hätte er das letzte halbe Jahr nicht überlebt, auch wenn er in der ersten Zeit, als er kaum eine Nacht geschlafen hatte, im Job sicher nicht gerade eine gute Figur abgegeben hatte.
In letzter Zeit landeten immer öfter Fälle von häuslicher Gewalt auf seinem Tisch. Das war ihm nicht entgangen, aber sei’s drum, dachte er, als er jetzt hier so mit seiner Tasse ehrlichen schwedischen Kaffees saß. Kein Espresso und auch kein Cappuccino und schon gar keine Latte. Er hatte nicht vor, irgendwelche
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