Tod in der Walpurgisnacht
Polizei würde Bescheid geben, wenn sie das Auto untersucht hätten. Das würde dauern.
Hatte Papa etwas Verbotenes getan?
Sie hörte, wie Mama ruckartig seufzte, so wie wenn man weint. Kleine Geräusche unten aus der Küche.
»Samuel!«, entfuhr es ihr hilflos in die Luft.
Jetzt musste nicht nur um Papa geweint werden. Jetzt auch um Samuel. Zwei Sachen, denn ein Unglück kommt selten allein, das sagt Skogis.
Hilda starrte nun mit aller Macht unverwandt auf die Treppe, während sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Eine Bodenplanke knarrte. Sie hatte blau-weiß gestreifte Strümpfe an und starrte auf ihre Füße, bis ihr die Tränen in den Augen standen. Dann trat sie so vorsichtig sie konnte auf die oberste Treppenstufe, so dass es nicht knarrte. Ihr Mund stand offen, der Nacken angespannt. Sie atmete ganz leise.
Die Streifen auf den Strümpfen fingen langsam an, sich wie in Wellen zu bewegen, ehe sie die Füße wieder fest hinstellte. Sie hob einen Fuß, um noch eine Treppenstufe herunterzugehen, aber als sie ihn absetzen wollte, war es plötzlich, als wäre er völlig kraftlos, wie weiches Gummi. Das ganze Bein gab nach.
Im selben Moment wurde ihr schwarz vor Augen, sie schaffte es nicht, nach dem Geländer zu greifen, sondern stürzte hilflos in die Tiefe.
Kapitel 32
E igentlich ist das ein bisschen zu viel, heute auch noch mit dem Sohn zu reden«, sagte Claesson, als sie im Auto saßen, und gähnte dabei ungehemmt, »aber wir werden es bereuen, wenn wir das jetzt nicht tun.«
»Es muss ja eh gemacht werden«, entgegnete Janne Lundin, »und ich denke mal, dass auch seine Wohnung durchsucht werden muss.«
»Du hast wohl zu viel Energie, was?«, neckte ihn Claesson. Lundin klang einfach unverschämt fit.
»Die Jugend von heute verträgt aber auch gar nichts mehr«, entgegnete Lundin und fuhr in Richtung Mietshaus, in dem, nach Aussage seiner Mutter, Mattias Skoglund wohnte.
»Du hast heute Nacht sicher besser geschlafen als ich«, entschuldigte sich Claesson.
»Wahrscheinlich«, stimmte Lundin zu. »Und in meinem eigenen Bett, das lernt man zu schätzen, wenn man älter wird.«
Claesson schwieg. Das war ein dummes Gespräch. Er wollte überhaupt nicht wissen, was passierte, wenn man älter wurde. Er wollte ewig jung bleiben.
»Warum hat man denn in dieses Kaff überhaupt ein Mietshaus gebaut?«, fragte er, um das Thema zu wechseln. »Das Dorf ist doch nicht groß, die reinste Idylle, hier könnte doch jeder in einem Haus für sich wohnen.«
»In den Jahren zwischen 1950 und 1970 ist Hjortfors kräftig expandiert«, erklärte Lundin. »Da hat man hier genauso gebaut wie in anderen schwedischen Städten auch.«
Sie kamen am Supermarkt vorbei, der geschlossen hatte.
»Natürlich«, sagte Claesson müde.
»Hjortfors sollte damals ein moderner Ort im neuen Schweden werden«, erzählte Lundin.
»Und das hast du alles in deinem Heimatkundekurs gelernt!«
»Yes.«
Es konnte Claesson nicht entgangen sein, dass Lundin aktives Mitglied des Heimatvereins in Hjortfors war.
»Damals wurde alles besser«, fuhr Lundin fort. »Die Wohnungen, die Schulen, die Krankenversorgung. Ja, das Ziel war eine bessere Gesellschaft, und zwar für alle, nicht nur für einen bestimmten Teil der Bevölkerung. › Das Volksheim ‹ nämlich!«
»Den Begriff gab es schon viel länger«, sagte Claesson. »Das Volksheim hat Per Albin Hansson erfunden, und der war schließlich von 1932 bis 1946 Ministerpräsident.«
Lundin fuhr langsamer, um eine junge Frau mit Kinderwagen über die Straße gehen zu lassen. Sie fuhren jetzt auf der Straße, die parallel zum Hjortån, dem Zufluss des Sees, verlief.
»Das stimmt, aber das Wort Volksheim gab es sogar noch früher«, berichtigte ihn Lundin. »Aber Per Albin war es, der ihn in der politischen Rhetorik benutzt hat. Und dann hat der Begriff sich zwar als etwas Gutes und typisch Schwedisches verankert, er muss aber in mehreren Ländern der Nachkriegszeit existent gewesen sein, zumindest in Europa.«
Sie fuhren an einem kleinen Hof vorbei, vor dem ein Schild stand, auf dem auf weißem Hintergrund und einer gelben, gemalten Zimtschnecke »Geöffnet« stand.
»Das ist Smed-Loffes Hof, der als Café fungiert«, erklärte Lundin. »Sehr nett da, die haben guten Kuchen. Alles selbstgebacken.«
»Wenn du das sagst, ist es wahrscheinlich auch so«, meinte Claesson.
Dann kam Lundin noch mal auf das Thema der patriarchalen Strukturen in Hjortfors, ihre Vor- und
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