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Tod in der Walpurgisnacht

Tod in der Walpurgisnacht

Titel: Tod in der Walpurgisnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Wahlberg
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Briefkasten werfen?
    Der Mantel hing locker über den Schultern, sie war aus den Ärmeln geschlüpft. Die Kälte vom Fenster ließ sie den Kragen noch etwas weiter hochziehen, ihre Nasenspitze war eiskalt. Eine angenehme Trägheit bemächtigte sich ihrer.
    Sie atmete langsam und versuchte, das Surren im Hinterkopf wegzuschieben. Sie wollte sich dem Leben gegenüber lässig zeigen, schließlich lag es so einladend vor ihr. Sie musste es nur ergreifen.
    Sie würde Samuel treffen und sah ihn schon vor sich: hochgezogene Schultern, die Augen unter einer Haartolle verborgen, das plötzliche Kichern, wenn es ihm gut ging, die Zigaretten, die Ideen. Es machte sie froh, an ihn zu denken.
    Doch es zogen auch finstere Wolken vorbei. Bei Sam konnte man sich nie sicher sein, das war das Schlimme. Trank er zu viel? Bei ihrem letzten Treffen war er rot im Gesicht gewesen und heiser. Das war fast zwei Jahre her.
    Am selben Tag noch, als sie Lejlas Namen unter einem Artikel im Barometer hatte stehen sehen, hatte sie ihr eine Mail geschickt. Das war nicht schwer gewesen, denn ihre Mailadresse hatte dort gestanden. Sie hatte die Zeitung aus dem Speisesaal im Krankenhaus mitgehen lassen. Zu ihrem großen Erstaunen und ihrer noch größeren Freude hatte Lejla sofort geantwortet und sie nach Kalmar eingeladen.
    Lejla hatte es so organisiert, dass Sam sie am Bahnhof in Kalmar abholen sollte. Wenn er es rechtzeitig schaffte, fügte sie noch hinzu, ohne zu sagen, wo er wohnte oder was er arbeitete. Wahrscheinlich malte er. Vielleicht hatte er in Kalmar ein Atelier gefunden. Lejla ging wahrscheinlich davon aus, dass Hilda Kontakt zu Sam hatte und alles wusste. Wenn Sam nicht kam, dann wollten sie sich per Handy erreichen, meinte Lejla. Lejla arbeitete bis zum Nachmittag, und Hilda würde sich die Zeit schon vertreiben können.
    Ja, sie würde sich die Zeit schon vertreiben können, dachte Hilda. Doch am liebsten wollte sie abgeholt werden. Sie würden sich schon warmreden, Samuel und sie. Sie würde erfahren, woran er sich erinnerte und was er vergessen hatte. Sie würden gemeinsam ein Puzzle legen. Nur sie beide. Ohne Lejla.
    Der Bus hielt in Mönsterås, und einige Leute stiegen zu. Es war Freitag, vielleicht wollten sie nach Kalmar zum Einkaufen.
    Hilda hatte mehrere Tage frei, weil sie am Wochenende zuvor Dienst gehabt hatte. Sie hatte Zeit. Mit Samuels Hilfe würde sie die Geschichte ihrer Familie beleuchten können. Was war damals eigentlich geschehen?
    Sie hatte Britta-Stina und Robert nicht erzählt, dass Sam in der Gegend war und nicht mehr in Stockholm oder Kopenhagen lebte. Britta-Stina und Robert fragten ohnehin selten nach Samuel. Das war ein wunder Punkt, den sie vermieden, denn er gehörte zu dem Teil von Hildas Leben, an dem sie nicht teilhatten. Doch Hilda hatte schon vor langer Zeit gemerkt, dass das Schweigen um Samuel ihn erstaunlicherweise nur noch größer und noch gegenwärtiger gemacht hatte, als er sonst gewesen wäre, aber davon hatte sie Robert und Britta-Stina nichts gesagt.
    Jetzt blieb der Bus an einer Haltestelle mitten auf der Landstraße stehen. Hilda las »Stubbemåla«. Eine alte, gebeugte Frau stieg mit Hilfe des Busfahrers ein. Er war nett, dachte Hilda. Der Fahrplan war ihm egal, er stellte den Rollator ins Gepäckfach und fuhr erst weiter, als die Frau sich niedergelassen hatte. Wie schön war doch diese unkomplizierte Freundlichkeit.
    Die Gedanken an alles, was geschehen war, hatten sich wie Blutegel in ihrem Kopf festgesogen. Die Wahrheit über Mama wirkte schwer wie ein Findling, der mit dem Inlandeis gekommen war. Wenn Sam nur zuhörte. Obwohl sie von einem rosa verklärten Zusammentreffen mit ihrem Bruder träumte, konnte sie doch nicht ganz sicher sein. Aber vielleicht war ihm das ja alles egal, jetzt, da er es bei seiner neuen Familie in Kalmar so gut hatte.
    Man hatte sie beide hinters Licht geführt und mit dieser Unwahrheit leben lassen. Schon bei dem Gedanken an alle Lügen schoss die Wut in ihr hoch. Aber wer stand hinter alldem? Wie sollte man auf gesichtslose Menschen wütend sein?
    Britta-Stina und Robert wussten wahrscheinlich auch nicht mehr als das, was ihnen erzählt worden war. Und der Unfall von Papa war lange vor ihrer Zeit geschehen. Sam und sie mussten die Leute finden, die damals mit der Sache zu tun gehabt hatten, und von Angesicht zu Angesicht eine Erklärung verlangen. Vielleicht gab es ja auch ein Dokument von der Sozialfürsorge über die Angelegenheit.
    Ohne die Wahrheit

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