Tod in der Walpurgisnacht
kam von einer Zentrale, und Hilda hielt in Erwartung eines bedrückenden Schweigens mit verbissener Miene das Telefon ans Ohr. Doch es war Fresia Gabrielsson. Was habe ich denn jetzt bloß falsch gemacht?, dachte Hilda automatisch, und ihr Herz begann zu rasen.
»Ich wollte dich etwas fragen«, sagte Fresia und zögerte. »Ich habe gerade Kaffeepause und bin mitten in der Sprechstunde«, erklärte sie.
»Aha«, sagte Hilda mit beherrschter Stimme und bereitete sich auf das Schlimmste vor.
»Bist du beschäftigt?«, fragte Fresia.
»Nein, ganz und gar nicht. Ich sitze im Bus.«
Ihr Herz raste noch mehr, und die Häuser draußen begannen zu flimmern.
»Kannst du reden?«
»Ja, das geht«, sagte Hilda, während der Bus an einer Tankstelle vorbeifuhr.
»Du musst auf jeden Fall sagen, wenn du meine Frage unverschämt findest«, schlängelte sich Fresia weiter.
»Aber worum geht es denn?«, brach es aus Hilda hervor, die vor Unruhe fast platzte.
»Also, ich bin auf einer Hochzeit eingeladen«, erwiderte Fresia in leichtem Ton und ließ den Rest in der Luft hängen.
»Ah! Wie schön!«, sagte Hilda jetzt energischer. Die Unruhe fiel langsam von ihr ab.
»Es ist die Hochzeit meines Schwagers. Er ist zehn Jahre jünger als mein Mann, und es wird eine große Hochzeit geben, denn seine zukünftige Frau kommt aus einem Dorf«, sagte Fresia.
»Aha«, sagte Hilda, die immer noch auf Fresias eigentliches Anliegen wartete, wenn sie es auch langsam erahnte.
»Und es ist leider so, dass ich überhaupt nichts anzuziehen habe«, erklärte Fresia hilflos. »Und da habe ich mich gefragt, ob du vielleicht etwas für mich nähen könntest.«
Hilda kicherte erleichtert.
»Also wenn du die Zeit hast«, plapperte Fresia weiter, ganz damit beschäftigt, Hilda zu schmeicheln, damit sie keinen Korb bekam. »Ich weiß, dass du das so gut kannst, du hast ja selbst so wahnsinnig schöne Kleider und immer mit diesem besonderen Etwas. Ich meine, klar könnte ich was Fertiges suchen, aber das wird nicht leicht, wie du weißt, trage ich nicht gerade Größe vierzig, also nicht mal in zweiundvierzig passe ich wirklich bequem rein …«
Hilda genoss es, eine Identität bekommen zu haben, eine Person zu sein, die man brauchte. Und dass sie in etwas derart Normales einbezogen wurde, wie ein Kleid anzufertigen.
»Natürlich kann ich dir etwas nähen«, unterbrach Hilda die andere. »Das mache ich gern!«
Sie versprach, wenn sie in Kalmar ein gutes Stoffgeschäft fand, nach Stoffen zu schauen und vielleicht ein paar Proben mitzubringen.
Der Bus näherte sich dem Stadtzentrum, sie kamen an einem Friedhof vorbei, kurz darauf an der alten Schokoladefabrik, dann passierten sie den Skvallertorget und hielten an einer roten Ampel. Hilda zog ihren Mantel an, der Bus fuhr an der Bibliothek und einer Schule aus rotem Ziegelstein vorbei. Im Hintergrund waren das Gefängnis und ein alter Wasserturm zu sehen.
Als der Bus am Bahnhof vorfuhr, hatte Hilda schon verschiedene Kleidermodelle in ihrem Kopf durchgespielt. Lange oder dreiviertellange Ärmel wären wahrscheinlich am besten, nichts Ärmelloses.
Der Bus hielt, und die Türen öffneten sich. Hilda stieg gut gelaunt aus.
Kapitel 34
V e ronika stand hinter Claes. Er saß am Küchentisch und las. Spielerisch fuhr sie mit den Fingerspitzen über seinen Nacken, vom Haaransatz zu den Schultern und dann den Rücken herunter. Unter dem Hemd nackte Haut. Sie kitzelte, streichelte, zupfte die Haut, wie um ihm zu sagen, dass sie nicht sauer war, weil er am Wochenende gearbeitet hatte. Sie war erwachsen genug, diese Art von Problemen zu überspielen, das war ihm doch hoffentlich klar, oder? Manchmal war sie so erwachsen und geduldig, dass es sie selbst müde machte.
Doch jetzt war kein Platz für tiefergehende Analysen dieser Art, sie wollte einfach nur Kontakt. Nun erwartete sie, dass er die Schultern hochziehen und den Kopf genüsslich nach hinten beugen und wie so oft um mehr Liebkosungen betteln würde.
Doch er hing weiter regungslos über dem Küchentisch und der Zeitung und tat so, als wäre nichts. Wie ein Stück Holz, dachte sie. Ein toter Klumpen. Sie massierte jetzt nicht seine Kopfhaut, wie sie es sonst tat. Schon gestern Abend, als er nach Hause kam, war er verspannt und mies drauf gewesen, aber da war sie zu müde gewesen, um ihn zu fragen, was los war.
Manchmal war das einfach so, sie kannte das. Das hört schon von selbst wieder auf, dachte sie sich. Wie das meiste im Leben. Wenn er
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