Tod in Florenz
an.
»Nein, jetzt hören Sie mir mal zu«, schrie Moretti plötzlich auf ihn ein, »ich habe genug für heute! Dauernd kommen Leute und schnüffeln hier herum, unterbrechen uns bei der Arbeit, stellen blöde Fragen – was immer diesem Mädchen passiert ist, es hat nichts mit mir zu tun. Was Menschen passiert, ist meist ihre eigene Schuld!«
»Ihre eigene Schuld!« röhrte Niccolini, turmhoch über dem kleineren Mann, als hätte er ihn am liebsten hochgehoben und durchgeschüttelt. »Haben Sie gesehen, in welchem Zustand die Leiche war? Na? Haben Sie?«
»Es hat nichts mit mir zu tun!« beharrte Moretti, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah sich um, als suche er nach konkreten Beweisen für seine Aussage.
DerMaresciallotratvorundfragteruhig: »Nymphomanisch, war sie das? Hat das nicht eben einer von Ihnen gesagt?«
Moretti sah verblüfft aus, entweder durch die Bemerkung oder weil er die Anwesenheit des Maresciallo bisher nicht bemerkt hatte.
»Das hat niemand gesagt …«
»Ach nein?« Niccolini sah von Moretti zum Maresciallo und wieder zurück. »Na, dann hören wir wohl schlecht, Maresciallo Guarnaccia und ich. Beide.«
»Oder Sie wollen mir an den Karren fahren, wie alle hier.«
»Keiner will Ihnen an den Karren fahren, soweit ich weiß, oder wüßten Sie etwas davon, Guarnaccia?«
Der Maresciallo sagte nichts. Durch die Ritzen zwischen den Bohlen drangen stickigheiße Luftströme herauf. Guarnaccia atmete schwer, und er hätte gern den Mantel ausgezogen. Statt dessen klemmte er die Mütze unter den Arm und fischte ein Taschentuch heraus, um sich die Stirn abzuwischen.
»Also, raus damit!« Niccolinis Aggressivität warf Moretti fast um.
»Ich …«
»Nun? Wie war’s?«
»Ich habe nichts Besonderes damit gemeint«, murmelte Moretti, »mir ist einfach der Kragen geplatzt, das wär er Ihnen an meiner Stelle auch.«
»An Ihrer Stelle würde ich verdammt aufpassen, daß mir der Kragen nicht platzt. Jetzt hören Sie mir mal gut zu: Wenn Sie nichts mit dieser Sache zu tun haben, dann brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen, aber bringen Sie mich nicht auf die Palme. Bleiben Sie ruhig, und geben Sie auf eine klare Frage eine klare Antwort, und nicht wie heute morgen. Sonst kommt nichts Gutes dabei heraus. Sie haben ein hieb- und stichfestes Alibi wie alle Ihre Leute, da sie alle bei Tozzi waren – aber wenn Sie anfangen, den Schlaumeier zu spielen, dann fangen wir an zu glauben, daß Sie auf die eine oder andere Weise mit dem Tod dieses Mädchens etwas zu tun haben. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Ich habe nichts damit zu tun.«
»Dann hören Sie auf, mir Sand in die Augen zu streuen! Worüber haben Sie beide sich eben gestritten?«
»Wie gesagt, das geht nur uns beide etwas an, es hat nichts mit dem Mädchen zu tun. Ich habe noch nie einem Menschen etwas zuleide getan, das kann Ihnen hier jeder bestätigen.«
»Das glaube ich Ihnen gern, aber leider wird mir in dieser Stadt wahrscheinlich niemand etwas sagen. Die sind alle wie Sie. Und in dem Zusammenhang sollten Sie besser daran denken, daß diejenigen, die diese Untersuchung führen, Sie nicht kennen und nichts über Sie wissen. Sie wissen nur, daß die Leiche des Mädchens auf Ihrem Abfallhaufen gefunden wurde – und dann finde ich Sie mit den Händen an Sestinis Kehle. Können Sie nicht mit diesem verdammten Lärm aufhören?«
Sestini hatte die zerbrochenen Gipsteile in eine Ecke gerollt und zerschlug sie mit einem Holzhammer in kleinere Stücke. Er hörte ohne ein Wort auf und begann, die Scherben in einen schwarzen Abfallsack aus Plastik zu füllen. Der Maresciallo überließ Niccolini den fruchtlosen Versuch, mit Moretti zu Rande zu kommen, und ging zu Sestini hinüber.
»Was sind das überhaupt für Dinger?«
»Brennformen.«
»Sie sehen komisch aus.«
»Sie bestehen aus zwei Teilen, manchmal auch drei. Sie werden mit Draht zusammengebunden. Die hier kann ich vergessen, soviel steht fest …«
»Wird er oft so heftig?«
Sestini zuckte die Achseln, ohne zu antworten, und der Maresciallo gab es auf. Wie sollte man dieser Sache jemals auf den Grund kommen, wenn Schuldige und Unschuldige gleichermaßen schwiegen, und es sah aus, als würde es so bleiben.
Er blickte aus dem zerbrochenen Fenster, durch das tags zuvor der Regen hereingeschlagen hatte. Die belebte Straße, die an dieser Stelle in einer großen Biegung von der Bahnlinie und ihrer hohen, schwarzen Mauer wegführte, wirkte hier etwas weniger trist als
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