Tod in Florenz
hätte dem kleinen Moretti das Herz gebrochen, nach allem, was er getan hatte, um es zu verhindern.«
»Wie geht es ihm denn?«
»Er wird’s überleben. Er hat seine Frau und seine kleine Tochter und die Fabrik. Das füllt ihn aus. Natürlich wird er noch vor dem Kadi erscheinen müssen in der Sache mit Robiglios Geld.«
»Ob dabei was rauskommt?«
»Wie ich Robiglio kenne, nein. Immerhin hat Moretti nur den einen Fall gestanden, und das Geld hat nie das Land verlassen. Robiglios Anwälte werden ihn herauspauken – er steht im Augenblick unter Hausarrest, aber der Typ hat neun Leben. Er hat es nach dem Krieg wieder zu Macht und Ehren gebracht, und wahrscheinlich wird er bald wieder in der Stadt herumstolzieren, als sei nichts gewesen. Der kommt wieder hoch, Abschaum schwimmt immer oben. Das einzig Tröstliche ist, daß er sich nicht mehr zur Wahl stellen wird, wenigstens dieses Mal nicht.«
»Aber es gibt immer ein nächstes Mal.«
»Ja, sicher gibt es das. Früher oder später werden wir mit ihm als Bürgermeister gesegnet sein. Also, ich hoffe, ich werde vorher versetzt. Wer vertritt Sie denn übrigens?«
»Mein Brigadiere schafft das schon. Er ist ein kompetenter Junge.«
Sie plauderten noch ein Weilchen über Alltagsprobleme, aber unweigerlich kehrten ihre Gedanken zu dem Fall zurück, der sie in erster Linie beschäftigte.
»Haben Sie die fehlenden Kleidungsstücke gefunden?«
fragte der Maresciallo.
»Keine Spur. Wir haben Beppones Bude durchsucht, aber wahrscheinlich hat er die Sachen gleich weggeschafft, entweder er oder Moretti.«
»Sind ihre Eltern gekommen?«
»Nein. Die Leiche geht morgen mit der Bahn zurück. Der Capitano hat von hier aus alles geregelt. Ich glaube, das andere Mädchen fährt mit. Das war bestimmt ein böser Schock für sie. War sie genauso hübsch wie ihre Freundin?«
»Nein. Sie war nicht hübsch, aber ich hatte den Eindruck, daß sie ein herzensguter, liebenswerter Mensch ist, wenn auch ein bißchen seltsam.«
Er überlegte, wohin sich jemand in ihrer Situation um Trost wenden konnte. Wahrscheinlich nicht einmal an ihre Eltern, denen sie ziemlich sicher die Wahrheit vorenthalten hatte. Er dachte an diesen jungen Mann, Corsari, weder Fisch noch Fleisch, der sich mit beiden Mädchen angefreundet hatte. Der Gedanke war ihm nicht sonderlich angenehm.
Niccolini, der sich betont heiter gab, erzählte wieder einmal eine Geschichte von einer früheren Eroberung. Gerade war er mit erhobener Stimme und glänzenden Augen beim Höhepunkt angelangt, als die Tür aufgestoßen wurde und eine ärgerliche junge Krankenschwester erschien.
»Was geht hier vor? Ich habe den Lärm am anderen Ende des Korridors gehört! Ich dachte, Sie wollten zwei Minuten etwas Geschäftliches erledigen.«
»Stimmt genau. Wir sind fertig. Ich wollte ohnehin gehen – «
»Ist Ihnen klar, daß dieser Patient drei gebrochene Rippen, einenangebrochenenOberschenkelknochenundeine Kehlkopfquetschung hat? Gar nicht zu reden vom Schock durch Ertrinken! Ich muß Sie bitten, jetzt auf der Stelle zu gehen. Der Doktor kommt gleich.« Damit fegte sie hinaus und schloß die Tür mit einem ärgerlichen Klicken.
»Schönes Mädchen«, bemerkte Niccolini, noch immer mit glänzenden Augen. »Auch noch Feuer, das habe ich immer gern. Sind Sie deshalb zufrieden damit, noch eine Woche hier herumzuhängen? Also, ich gehe dann wohl besser. Aber nachdem ich schon den langen Weg gemacht habe, um Ihnen zu sagen, was Sie für ein Esel sind, kann ich Ihnen ja auch sagen, daß es mich ganz schön beeindruckt hat, wie Sie auf die Wahrheit gekommen sind. Um ehrlich zu sein, als ich Sie das erste Mal sah, habe ich gedacht, mit Ihnen sei nicht viel los. Sie sind nicht gekränkt, nein? Ich dachte bei mir: Dieser Kerl schläft ja im Stehen. Den Eindruck hat man bei Ihnen – Sie sind nicht gekränkt?«
»Nein, nein …« Er war ein bißchen gekränkt. Bei Gott, er war daran gewöhnt. Seit seiner Schulzeit beklagten sich die Leute darüber, daß er im Stehen schlief. Auch seine Frau beschwerte sich öfter. Aber es tat ihm leid, daß er bei seinem neuen Freund diesen Eindruck hinterlassen hatte, und er wünschte sich nur ein Viertel von dessen Energie und Heiterkeit.
»Ich bin froh, daß Sie gekommen sind«, sagte er zu Niccolini, als der seine Hand ergriff und herzlich schüttelte, nicht ohne negative Auswirkungen auf die gebrochenen Rippen.
»Hören Sie auf mich, und sehen Sie zu, daß Sie so schnell wie möglich nach Hause kommen
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