Tod in Florenz
Ich sage ja immer, es hat keinen Sinn, sich mit Fremden einzulassen. Ich selbst habe gar keine Zeit dafür. Stimmt’s oder hab ich recht?«
Der Mann, der das Abzeichen der Elektrizitätswerke auf seinem Overall trug, sah überrascht hoch. Dann warf er einen Blick über den Durchgang und merkte, auf wen das Ganze gemünzt war.
»Allerdings«, sagte er, »man muß aufpassen, wenn man sich mit Fremden einläßt … besonders mit Deutschen.«
Damit wandte er sich wieder seiner Zeitung zu.
Der andere sah wütend aus, ging aber ohne ein weiteres Wort weiter.
»Also, was sollte das denn nun wieder?« Niccolini runzelte die Stirn. »Ich dachte, jeder weiß, daß sie Schweizerin war.«
»Das gerät alles durcheinander«, erinnerte ihn der Maresciallo, »immerhin war sie Deutschschweizerin, und die Leute haben ihren Akzent bemerkt. Wer ist der Mann überhaupt?«
»Ein Vetter von Moretti.«
»Dann wissen wir, wo er steht. Keine Hoffnung aus der Ecke.«
»Keine. Aber die Antwort hat ihm auch nicht gefallen, oder? Warum, kann ich mir nicht vorstellen, Sie?«
»Nein.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht mit dem Akzent …«
»Mir ist er bei ihrer Freundin aufgefallen. Man hörte ihn, obwohl ihr Italienisch gut war. Ich fahre besser bald nach Florenz zurück und rede mit ihr. Jemand muß ihr sagen, was passiert ist, und vielleicht kann ich noch etwas mehr herausfinden … Allerdings ist sie ehrlich gesagt nicht viel mitteilsamer als diese Truppe hier.«
»Schöne Hilfe. Also, wenn wir je den Beistand des einen oder anderen Heiligen brauchten, dann jetzt – und alles, was wir haben, ist Berti.«
»Er hat Ihnen also doch etwas sagen können?«
»Er hat mir eines erzählt, sobald Sie die Tür hinter sich zugemacht hatten. Wissen Sie, wer diese Frau ist? Die Verrückte?«
»Tina?«
»Ja. Passen Sie auf – ich hätte es nicht geglaubt, aber er kann es sich wohl kaum aus den Fingern gesogen haben. Sie ist Morettis Schwester.«
»Ach ja?«
»Seine ältere Schwester. Tja, das hätten Sie nicht erwartet, was? Ich hatte ja keine Ahnung, kann ich Ihnen sagen, aber er hat offenbar nichts mit ihr zu tun, hat sie an diesen Bauern verheiratet, der sie praktisch unter Verschluß hält, weil sie nicht ganz richtig im Kopf ist.«
»Vielleicht ist sie nicht ganz richtig im Kopf, weil er sie unter Verschluß hält«, überlegte der Maresciallo in Erinnerung an die stille, stinkende Kate ohne Fenster.
»Schließlich hätte er sie kaum geheiratet –«
»Warten Sie, dazu komme ich gleich. Sie haben den Mann nicht gesehen?«
»Nein, er war beim Obstbaumschneiden.«
»Genau. Seine Obstbäume, und darum hat er sie geheiratet, des Landes wegen. Er ist über zwanzig Jahre älter als sie und ebenfalls eine etwas seltsame Type. Er bearbeitet einige Hektar auf der alten Bauernbasis von fünfzig Prozent des Ertrags, und wenn man in dieser Position ein paar Hektar eigenes Land in die Finger kriegt – na, da muß ich Ihnen wohl nichts weiter sagen, wenn Sie selbst aus einer ländlichen Gegend kommen.«
»Er hat die Obstwiesen als Mitgift bekommen?«
»Genau. Moretti hat sie für ihn gekauft und ist dafür seine spinnige Schwester losgeworden.«
»Wo war sie denn vorher?«
»Bei den Nonnen. Aber die wollten sie nicht länger behalten, denn sie war zwar anstellig – sie haben ihr ein bißchen Hauswirtschaft beigebracht, und sie hat in der Küche geholfen –, aber sie ist nachts so und so oft verschwunden. Logisch wurde sie am Ende schwanger, und danach wollten die Nonnen sie loswerden. Moretti hätte sie entweder zu sich nehmen oder sie in eine Heilanstalt geben müssen, wenn er nicht eine Möglichkeit fand, sie sonst unterzubringen. Tja, und die hat er dann offenbar gefunden.«
»Dann stimmt es also …«
»Wie ich es erzählt habe, er würde so was kaum erfinden, mag er auch noch so ein alter Gauner sein.«
»Nein, ich meine … sie hat mir erzählt, daß sie ein Kind hatte, doch ich habe es ihr nicht recht geglaubt.«
»Das stimmt schon, obwohl ich annehme, daß es nicht allzu lange gelebt hat – vielleicht ganz gut so. Tja, das war’s – nicht sehr nützlich für uns, fürchte ich. Berti hat versucht, Moretti als eine Art Heiligen darzustellen, weil er sie ja ohne weiteres in eine Anstalt hätte stecken können, statt all das Geld auszugeben – ist was?«
»Nein, nein … ich habe nur überlegt …«
»Natürlich stimmt es, daß die Verteidigung sich eine solche Geschichte zunutze machen könnte, wenn es zum Schlimmsten
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