Tod in Florenz
Armee.«
»Also, ich würde mich da nicht aufregen.« Der Maresciallo blieb gelassen. »Die Armee wird es sicher überleben.«
Ein Grinsen breitete sich auf Niccolinis Gesicht aus.
»Sie haben recht! Warum sollte ich mich aufregen?« Er lachte. »Was für ein Narr ich doch bin! Jedesmal, wenn mir die Gäule durchgehen, schaue ich in den Spiegel und sage mir: ›Niccolini, du bist ein verdammter Narr! Warum regst du dich auf?‹ Ich sollte es mehr wie Sie nehmen und die Dinge ruhig betrachten. Ich wette, es muß schon eine Menge passieren, damit Ihnen die Gäule durchgehen. Nein, nein, Sie haben völlig recht. Ich werde die Dinge ruhig betrachten. Früher oder später finden wir zwangsläufig heraus, wer für diese Sache verantwortlich ist.«
»So gesehen«, sagte der Maresciallo, »wäre ich froh, wenn wir es früher herausfinden.« Er sah an Niccolini vorbei zu dem Tisch, an dem Morettis Männer aßen.
»Sie glauben doch nicht etwa …«
»Daß sie das Gesetz selbst in die Hand nehmen? Ja, ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit. Es beschäftigt mich schon seit heute morgen, als wir Moretti und Sestini bei ihrer Schlägerei unterbrochen haben, aber noch mehr, seit Tozzi vorhin den Krieg erwähnte. Ich nehme an, da ist still und heimlich so manche Rechnung beglichen worden, nachdem die Faschisten abgemeldet waren.«
»Sicher. Aber das hat es doch überall gegeben.«
»Ja. Aber in den Städten sah das dann oft so aus, daß man jeden mit einem schwarzen Hemd an die Wand gestellt hat, ohne lange zu fragen. Auf dem Land war es etwas anders, persönlicher und viel weniger hysterisch. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja, gut, schon … aber nein! Das ganze Klima war damals anders. In all dem Chaos konnte man so ziemlich alles ungestraft tun, und das tat man auch. Nein, nein. Ich verstehe, was Sie meinen – mag ja sein, daß die Gefühle in die Richtung gehen, aber wir wollen nicht übertreiben. Die können doch wohl nicht annehmen, daß sie mit so etwas heutzutage durchkommen.«
»Ich hoffe, Sie behalten recht.«
»Das hoffe ich auch. Aber ob ich recht behalte oder nicht, wenn das der allgemeine Trend ist, dann hilft uns hier keiner auch nur einen Schritt weiter.«
»Doch. Wir wissen zwar noch nicht, wer, aber sie dürften sich kaum alle einig sein, und sie haben wahrscheinlich alle Frauen …«
»Ah, das ist eine gute Idee. Wir könnten ihre Frauen befragen.«
»Nein, nein«, sagte der Maresciallo. »Das werden wir nicht tun müssen. So kann man es ganz und gar nicht angehen.«
»Jetzt weiß ich es, Guarnaccia: Sie kommen selbst aus einer Kleinstadt wie der hier.«
»Noch kleiner. Und es sollte mich nicht wundern, wenn Sie morgen einen netten Stapel anonymer Briefe in der Post haben.«
»Gütiger Himmel! Also, man lernt doch nie aus, sage ich immer wieder – ah! Essen wir noch einen Dessert!«
Der Junge in der großen Schürze hatte den Servierwagen mit den Nachspeisen in ihre Richtung gerollt und blieb mit dem Bestellblock in der Hand vor ihnen stehen. Niccolini rieb sich die Hände, schon wieder ganz der alte.
»Ich würde sagen, zwei ordentliche Stücke von der Schokoladentorte da, was meinen Sie, Guarnaccia? Und nicht zu knapp, mein Junge. Ohne Saft keine Kraft, wir haben viel zu tun.«
Sie aßen langsam und genüßlich, entschlossen, sich auch beim Kaffee noch Zeit zu lassen.
»Wenn ich erst wieder auf dem Revier bin«, erklärte Niccolini, »gibt es Dutzende von Unterbrechungen, vor allem, weil ich den ganzen Vormittag nicht da war. Wenn Morettis Leute gegangen sind, dann möchte ich noch über ein paar Dinge mit Ihnen reden.«
Es dauerte nicht lange, und die Männer brachen auf, aber nicht ohne vorher noch eine kleine Schau abgezogen zu haben. Nachdem sie gegessen hatten, ging einer nach dem anderen wie zufällig zur Toilette am Ende des großen Speisesaals, wozu sie notgedrungen an dem Tisch vorbeimußten, an dem Niccolini mit dem Maresciallo saß. Keiner sagte etwas oder ging so weit, die beiden Uniformierten direkt anzusehen, wie um zu betonen, daß ihr Schweigen ein bewußter Akt sei. Der letzte, der von der Toilette zurückkam, war der Dreher, der vorhin mit dem Mann am Nebentisch einen Streit angefangen hatte.
Er ging an Niccolini und dem Maresciallo vorbei, ohne sie anzusehen, blieb aber dann am Tisch gegenüber stehen und sprach laut, damit sie ihn auch ja hören konnten, mit einem Arbeiter, der allein bei einem Kaffee Zeitung las.
»Na, was hältst du von diesem Schlamassel?
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