Tod in Florenz
kommt, aber was mich mehr als alles andere umgehauen hat, ist, daß in dieser Stadt vieles vorgeht, wovon ich keine Ahnung habe.«
»Und wovon selbst dieser Berti nichts weiß.«
»Da bin ich nicht so sicher.«
»Hm. Sie sagen, daß nach seiner Darstellung Moretti mit der armen Frau nichts mehr zu tun haben wollte, nachdem er sie verheiratet hatte?«
»Scheint so.«
»Also, mir hat sie erzählt, daß sie ihn regelmäßig besucht.«
»Wahrscheinlich erfunden. Wunschdenken. Für wie verrückt halten Sie die Frau?«
»Ich weiß nicht. Wie gesagt, sie kommt mir eher kindisch vor als sonstwas. Ich gebe zu, daß ich mehr oder weniger alles, was sie gesagt hat, als erfunden abgetan habe, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher.«
»Na, wenn der alte Kerl sie einsperrt –«
»Er geht zum Billardspielen.«
»Sie meinen, sie geht aus, wenn er –«
»Jede Woche. Möglich wär’s schon. Und als sie mir erzählt hat, wie sie das Mädchen am Montag die Straße runterlaufen sah, sagte sie: ›Vielleicht ist sie meinen Bruder besuchen gegangen.‹«
»So? Nun, das klingt ja langsam ganz plausibel.«
»Und ihr Mann hat die Leiche gefunden, sagen Sie …«
DerMarescialloverstummteundstierteinseine Kaffeetasse.
Die Gaststube war inzwischen fast leer, und aus der Küche hörte man Geschirrklappern. Der Fernseher lief noch, aber ohne Ton.
»Von welcher Seite man es auch betrachtet«, sagte Niccolini nach einer Weile, »es läuft auf dieselbe Familie hinaus, wenn ich auch nicht weiß, was einer von ihnen gegen das Mädchen hätte haben können – ach, du liebe Güte, sehen Sie nicht hin, aber hier kommt Seine Hoheit, der zukünftige Bürgermeister …«
Der Maresciallo mußte sich gar nicht umdrehen, denn er konnte die Ankunft Robiglios in Niccolinis zu Schlitzen verengten Augen verfolgen. Dennoch war es ein sehr veränderter Robiglio im Vergleich zu der Version, die er gestern kennengelernt hatte, wie der Maresciallo schon bei der Begrüßung bemerkte.
»Eine unglückselige Geschichte ist das«, sagte Robiglio zu Niccolini. »Ich nehme an, deshalb ist Ihr Kollege hier, obwohl Sie es gestern nicht erwähnen wollten.«
»Da wußten wir noch nicht –«, begann Niccolini, aber Robiglio unterbrach ihn mit einer Arroganz, die er bei ihrem letzten Zusammentreffen wohl nur mühsam unterdrückt hatte.
»Das ist natürlich Ihr gutes Recht, geht mich nichts an.« Und er wandte sich ab, um Tozzi zuzurufen: »Tozzi, ich brauche morgen keinen Tisch, ich fahre vormittags weg.«
Dann nickte er ihnen kurz zu und ging.
»Guten Tag!« sagte Niccolini höflich. »Dich wären wir los.« Letzteres fügte er hinzu, als Robiglio außer Hörweite war.
»Na, da geht wieder einer, der plötzlich nicht mehr mit mir plaudern will, nicht daß es ein großer Verlust wäre in seinem Fall. Ich nehme an, er könnte uns sowieso nichts sagen.«
»Es schien ihm aber wichtig, uns eines wissen zu lassen …« Die großen Augen des Maresciallo waren immer noch auf die Tür geheftet, durch die Robiglio hinausgegangen war. »Mir kam es so vor, als wollte er uns wissen lassen, daß er wegfährt. Ich frage mich, warum.«
»Meinen Sie? Also, ich sehe keinen Grund, ihn aufzuhalten.«
»Keinen, den wir kennen. Ich würde sagen, gestern war er ein besorgter Mann. Mein Hiersein hat ihn beunruhigt. Jetzt weiß er, warum … Ich frage mich, wo er hinfährt.«
»Das habe ich bald heraus.« Niccolini sprang auf. »Ich gehe die Rechnung bezahlen und lasse es mir von Tozzi sagen.«
»Heute möchte ich aber …«
»Sie bleiben, wo Sie sind. Ich kümmere mich besser um mein Image. Ich hätte ihn nicht so abkanzeln dürfen, da haben Sie ganz recht.«
»Trotzdem, heute sind Sie mein Gast.«
»Ich werde Ihr Gast sein, wenn ich nach Florenz komme.«
»Aber wann –«
»Im Jahr zweitausend.« Und damit war er fort.
Der Maresciallo zwängte sich in seinen Mantel. Wie gewöhnlich fühlte er sich nach dem Essen ziemlich schwer, besonders verglichen mit Niccolini, der immer zu bersten schien vor unterdrückter Energie und der eben forschen Schrittes und händereibend an ihren Tisch zurückkehrte.
»Das hätten wir! Und ich kann Ihnen auch sagen, wohin unser Freund fährt. In die Schweiz!«
»Signorina Stauffer?« Die Tür war nur einen Spaltbreit geöffnet worden, und er konnte kaum sehen, wer dahinter stand. »Hier ist Maresciallo Guarnaccia. Kann ich reinkommen?«
Langsam ging die Tür ganz auf. Sie hielt den Kopf gesenkt, aber trotzdem und trotz ihrer Brille
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