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Tod in Florenz

Tod in Florenz

Titel: Tod in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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zeigen.«
    »Was für Briefe?« Der Doktor trat näher, und Niccolini holte das Bündel aus seiner Tasche und reichte es ihm. Er kramte eine Brille hervor, die er sich wie ein Lorgnon vor die Nase hielt, und ging zum Fenster zurück.
    »Meine Augen sind auch nicht mehr, was sie mal waren …« Er las, bis auf einen gelegentlichen Grunzer des Abscheus, ohne Kommentar alle Briefe durch. Dann warf er sie wieder zusammen und gab sie zurück.
    »Sie haben recht. Wenn die Dinge bis zu diesem Grad aufgewühlt sind, dann sollten Sie besser alles wissen.« Er setzte sich in seinen Sessel und schob die Brille mit einer Hand in die Tasche. Der Maresciallo, der ihn beobachtete, bemerkte ein leichtes Zittern. Die dünne, fast durchsichtige Haut war mit braunen Flecken übersät, und die Finger bewegten sich langsam und zögernd wie im Dunkeln. Nur dadurch zeigte sich das Alter des Doktors, ansonsten hätte er unter siebzig sein können. Er legte langsam die Hände ineinander und öffnete sie dann, um aufs Fenster zu weisen.
    »Sie haben den Brunnen draußen gesehen, ja? Er ist trocken, schon seit Jahren, aber im Krieg hat er sich als nützlich erwiesen, um Leute zu verstecken. Juden, Partisanen und einmal den Priester der Nachbargemeinde, weil die SS ihn suchte … Sie stammen beide nicht von hier, das merke ich.«
    »Nein«, antwortete Niccolini. »Ich bin Römer, und Guarnaccia ist aus Syrakus.«
    »Und natürlich sind Sie beide noch jung und erinnern sich nicht. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß die Hälfte der Partisanen, die in den Kämpfen gegen den Nazi-Faschismus gestorben sind, Toskaner waren. Ich will damit nicht sagen, daß unsere Jungen engagierter oder heldenhafter waren als andere. Vielleicht waren sie es, aber ich würde es nicht direkt aussprechen wollen. Es war einfach die Art und Weise, wie die Dinge liefen. Das Dumme war, daß der Waffenstillstand von 1943 in solcher Eile ausgehandelt wurde, wissen Sie. Dadurch wurden viele Mißverständnisse nie so ausgebügelt, wie das mit etwas Nachdenken und Geduld vielleicht geschehen wäre. Verständlicherweise haben uns die Alliierten nicht über den Weg getraut. Sie hatten Angst, hintergangen zu werden, und als Folge setzten sie ein Waffenstillstandsabkommen auf, das Italien von der Liste der kriegführenden Mächte strich und es uns überließ, mit den Deutschen so gut wir konnten fertig zu werden, während sie die Dinge auf ihre Weise erledigten. Verständlich, aber tragisch, für sie wie für uns. Ich habe schon damals gesagt und sage immer noch, wenn es nur mehr Koordination gegeben hätte, wenn die Alliierten zwischen Rom und La Spezia gelandet wären, wie es möglich und richtig gewesen wäre, dann wäre der Krieg innerhalb weniger Wochen vorbei gewesen, statt sich noch anderthalb Jahre hinzuziehen, mit soundsovielen Opfern unter den alliierten Soldaten und soundsovielen zerstörten italienischen Städten. Es hätte keiner deutschen Abwehrlinie bedurft, keiner Bombardierung von Florenz, keiner der sogenannten deutschen Vergeltungsschläge, die ohne zwingende militärische Gründe ganze Dörfer ausgelöscht haben. Es war ein Fehler, und Fehler haben meiner Erfahrung nach meist größere Katastrophen zur Folge als bewußt böse Absichten. Selbst Kesselring hatte Angst, als der Waffenstillstand unterzeichnet wurde. In einem Brief von Colonel Dollmann – ich habe ihn hier in einem meiner Bücher – heißt es sinngemäß, daß nach Generalfeldmarschall Kesselring die deutsche Niederlage unvermeidbar gewesen wäre, wenn Badoglio sofort das Kommando übernommen und eine Landung der Alliierten bei Rom im großen Stil organisiert hätte. Nun, es ist nicht so gekommen. Es gab keine Koordination, kein einheitliches Kommando, keinen Korpsgeist. Schließlich heißt Waffenstillstand für einen Soldaten, daß der Krieg vorbei ist, Willenskraft und Einsatzbereitschaft mußten zwangsläufig nachlassen, wenn nicht ein ordnungsgemäß eingesetztes Kommando und rasche Schlachtbefehle etwas für die Disziplin taten. So kam es, daß viele Einheiten sich selbst überlassen waren und eigenmächtig handeln mußten. In den ersten zwei Tagen sind dreitausend Mann gefallen. Ich bin überzeugt, daß die Partisanen die Situation gerettet haben – nicht so sehr mit ihren Angriffen auf den Feind, sondern weil sie die Moral der Menschen aufgemöbelt haben, ihnen Hoffnung gaben und den Wehrwillen wiederherstellten. Mit anderen Worten, sie haben inoffiziell das getan, was offiziell hätte

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