Tod in Florenz
auszureden. In dieser Stadt gibt es sowieso schon zu viele Heiraten zwischen Blutsverwandten, und das ist nicht gesund. Ich hatte ihn hier bei mir, weil seine Eltern darum gebeten hatten, und wollte ihn zur Vernunft bringen, wobei ich meine Argumente auf die Tatsache stützte, daß sie blutsverwandt waren. Mir war nicht klar, inwieweit er von Marias Verhalten wußte, und ich hatte Angst, er würde mir davonrennen, wenn ich es ihm beizubringen versuchte. Zweifellos liebte er das Mädchen wirklich. Jedenfalls war ich noch nicht weit gekommen, als er mich unterbrach und mir sagte, es sei alles vergebliche Liebesmüh. Er hatte sich nur deshalb zu dem Besuch bei mir überreden lassen, um mir zu sagen, was Maria mir nicht zu sagen wagte. Sie war schwanger. Nun, Sie können sich vielleicht vorstellen, was sich zwischen den beiden Vätern abgespielt hätte, wenn sie nicht geheiratet hätten. Die Firma steckte durch den Krieg bereits in ziemlichen Schwierigkeiten – es war 1941 –, und eine große Familienfehde hätte das Ende bedeutet. Also bekam Pietro seinen Willen und heiratete seine kleine Maria. Er hatte offenbar keinen Zweifel, daß es sein Kind war, und wahrscheinlich war es das auch. Ich hatte sie nicht in der Stadt herumscharwenzeln sehen, seit sie mit Pietro zusammen war. Sie heirateten also und zogen zu seinen Eltern, die in einer Ecke der Fabrik wohnten. Die Verhältnisse waren beengt, und seine Mutter, die gegen die Heirat gewesen war und aus geschäftlichen Gründen von den Männern zum Einverständnis gezwungen wurde, kam mit ihrer Schwiegertochter überhaupt nicht zu Rande. Alles begann unter einem schlechten Stern und wurde bald noch schlimmer. Als Hausarzt der Familie wußte ich natürlich so manches, was da vorging, konnte aber wenig tun, um zu helfen, obgleich die Mutter sich oft hilfesuchend an mich wandte – sie waren Kommunisten und wollten mit dem Priester nichts zu tun haben, worauf der hingegangen ist und behauptet hat, die Zukunft des jungen Paares sei verflucht, weil sie nicht kirchlich geheiratet hätten. Es dauerte nur Minuten, da war er wieder draußen. Ich versuchte, mit Maria zu reden, aber es war hoffnungslos. Wie kann man mit einem Kind über die Verantwortung der Mutterschaft reden? Ich glaube, sie war geistig nicht weiter als eine Zwölfjährige. Sie war unberechenbar und faul und tat nichts, um ihrer Schwiegermutter im Haus zu helfen, schlimmer noch, es verging kein Monat nach ihrem Einzug, da hing sie bei den Männern in der Fabrik herum. Es passierte natürlich nichts. Denn abgesehen von der Anwesenheit männlicher Familienmitglieder, ihren Ehemann eingeschlossen, sah man ihr die Schwangerschaft bereits an. Aber die Folge waren heftige Auseinandersetzungen, besonders zwischen Pietro und seiner Mutter, und trotz all ihrer Bemühungen konnten sie Maria nicht unter Kontrolle halten. Pietro war zutiefst unglücklich, und man muß kaum hinzufügen, daß seine Mutter keine Gelegenheit ausließ, ihm zu erklären: ›Ich habe es dir ja gesagt‹, wie Mütter das so tun. Als es soweit war, habe ich das Kind mit zur Welt gebracht.«
Der Doktor hielt inne. Vielleicht bemerkte er die kleinen Anzeichen von Niccolinis Unruhe. Jedenfalls stand er lächelnd auf und bot ihnen ein Glas Vinsanto an, den er aus einem Hängeschrank holte, in dem er wahrscheinlich früher Medikamente aufbewahrt hatte.
»Trinken Sie einen Schluck, er ist besonders gut. Ich selbst trinke nicht mehr. Die Ansprüche werden immer geringer mit der Zeit. Zweifellos werde ich eines Tages auch das Essen aufgeben, und dann ist meine Zeit gekommen.« Er kicherte und füllte sorgsam die winzigen Gläser.
»Bis dahin bin ich sehr froh, daß ich lebe.« Er sah ihnen beim Trinken zu, setzte sich wieder und stopfte gedankenvoll seine Pfeife.
»Tina … Maria Cristina nannten sie das Baby, und wie sich herausstellte, war sie nicht viel intelligenter als ihre Mutter – obwohl das Leben, das sie führt, egal was Sie darüber denken mögen, immer noch besser ist, als in eine Anstalt eingesperrt zu sein.
Befreit von der Last des Babys, nahm Maria ihre alte Lebensweise wieder auf, und bald konnte Pietro sich nirgends mehr zeigen. Bis dahin war das Problem weitgehend in der Familie geblieben, da sie ja nur um die Männer in der Fabrik herumscharwenzelt war. Aber nach der Geburt des Kindes ignorierte sie einfach dessen Existenz und fing an auszugehen. Die kleine Tina blieb ihrer Großmutter überlassen, sehr zum Verdruß der letzteren. Es
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