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Tod in Florenz

Tod in Florenz

Titel: Tod in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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kam sogar so weit, daß sie versuchten, sie nachts einzusperren, aber Tag oder Nacht, das machte für Maria keinen großen Unterschied. Einmal, auf dem Heimweg von meiner Runde, nahm ich eine Abkürzung durch die Obstwiesen da drüben und fand sie im Gras mit dem alten Gino Masi, einem Bauern von mindestens sechzig. Das Mädchen war nicht schlecht, sie war nur völlig ohne Moral. 1943 hatten wir dann die deutschen Soldaten hier. Sie können sich vielleicht vorstellen, daß Pietro nichts lieber tat als den Partisanen beitreten und einer verfahrenen Situation entfliehen. Außerdem bestand für ihn die Gefahr, zu den Truppen von Mussolinis neuer Republik eingezogen zu werden. Maria war wieder schwanger, als er 1944 wegging, und lange Zeit hörte man nichts von ihm. Was Maria angeht … nun, wir hatten damals eine Abteilung von ungefähr zwanzig Mann der Wehrmacht hier in der Villa stationiert, deren größten Teil sie für ihre Zwecke requiriert hatten, und man braucht wohl kaum zu sagen, daß Maria ihren Weg dorthin fand, sooft sie der Wachsamkeit ihrer Schwiegermutter entfliehen konnte. Sie verstand vom Krieg nichts, außer daß sie oft hungern mußte und ihr Mann sie verlassen hatte. Ich selbst habe sie häufig da oben gesehen.
    Das Anwesen ist heute eine Anstalt für kriminelle Irre, aber damals war es eine Mischung aus Kaserne und Hospital. Wir hatten kein eigenes Krankenhaus, und 1944 gab es keine Möglichkeit, die Kranken zu transportieren. Von Sperrstunde und sonstigen Einschränkungen abgesehen, hatten die Deutschen auch noch alles requiriert, was Räder hatte. Ich ging morgens und abends nach meinen Hausbesuchen hinauf. Einige Patienten waren Notfälle aus dem Ort, aber als die Deutschen sich von Pisa und aus dem Süden in unsere Richtung zurückzogen, füllte es sich immer mehr mit ihren Verwundeten. Die Villa hat viel erlebt, seit die Medici sie bauten. In vielerlei Hinsicht ist sie der Dreh- und Angelpunkt unserer Stadt – man könnte sogar sagen, die Stadt in ihrer heutigen Form hätte sich nie entwickelt, wenn die Villa nicht gebaut worden wäre. Es waren die Medici, die als erste eine Gruppe spanischer Mönche hierherbrachten, damit sie Majolika für sie fertigten – ein falscher Begriff übrigens, denn es war eigentlich spanische Töpferware, aber sie wurde immer über Mallorca importiert, und der Name ist geblieben. Wären nicht die Medici gewesen und diese Handvoll Mönche, die in der Villa oben die Produktion aufnahmen, es gäbe keine Töpferindustrie, die diese Stadt bis zum heutigen Tag erhält. Jedenfalls haben die Deutschen von der Villa aus die Stadt unter Kontrolle gehalten –, obwohl ich sagen muß, daß wir, bis auf die Requirierungen, mit den Deutschen weniger Ärger hatten als mit unseren eigenen Faschisten, einem Haufen wildgewordener Radaubrüder, wie er selten auf die Welt losgelassen wurde. Sie hofierten die Deutschen in der Villa, bekamen jedoch wenig Ermunterung. Die Deutschen haben die sehr persönliche und eingeschränkte Natur des italienischen Faschismus nie ganz verstanden. Unsere hiesigen Unholde stolzierten mit Vorliebe in Uniform herum und trugen wenig oder nichts zum Kriegsgeschehen bei. Die Deutschen haben sich die meiste Zeit aus lokalen Querelen herausgehalten und damit beschäftigt, die Stadt zu kontrollieren, Essen zu requirieren und die Eisenbahnlinie und die Straße nach Pisa am Arno entlang zu verteidigen. Immerhin fütterten sie meine Patienten im Hospital, und ich konnte manchmal Essen oder Medikamente für die schlimmen Fälle meiner übrigen Praxis herausschmuggeln. Das hatte ich hauptsächlich dem Koch zu verdanken, obwohl der Feldwebel genau wußte, daß ich selten mit leeren Händen aus der Villa wegging, aber er drückte ein Auge zu. Der Koch war ein bayerischer Bauernbursche, gebaut wie ein Ochse, Karl hieß er. Manchmal frage ich mich, was wohl aus ihm geworden ist. Er hat immer gesagt, er wolle nach dem Krieg zurückkommen, aber vielleicht hat er es gar nicht lebendig nach Hause geschafft. Jeden Tag nach meiner Visite ging ich in die Küche, wo er einen Teller Suppe vor mich hinknallte und bellte: ›Iß!‹ Dann kniff er mich in den Arm, brüllte vor Lachen, weil ich so dünn war. Während ich aß, deutete er nacheinander auf alle Küchenutensilien und verlangte, daß ich ihm die Namen auf italienisch sagte. Er wiederholte alles und mußte sich dabei so anstrengen, daß seine Augenbrauen in der Mitte zusammenstießen. Sein Akzent war so stark, daß er

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