Tod in Florenz
sie nicht für ihn.«
»Und Sie meinen, es war einer von Morettis Leuten?«
»Nicht unbedingt. An dem Tag wurde nicht gearbeitet, und theoretisch hätte jeder hineingehen können und sie allein angetroffen … Das Dumme ist, daß wir ziemlich im dunkeln tappen und unbedingt mehr wissen müssen.«
»Worüber?«
»Tja, über Moretti zum Beispiel …« Niccolini sah etwas verlegen aus. »Wie man hört, ist er ein Freund von Ihnen.«
Der Doktor lächelte, was weniger Niccolini galt. »So könnte man es nennen.«
»Er gehört eigentlich nicht direkt zu den Verdächtigen, wissen Sie, sogar weniger als andere, da er ein solides Alibi hat, aber dennoch verheimlicht er etwas. Und zwar etwas so Ernstes, daß es zu einer Auseinandersetzung mit einem seiner Männer geführt hat.«
»Mit wem?«
»Sestini.«
»MeinenSieeinWortgefechtodereinenrichtigen Faustkampf?«
»Ich meine einen Kampf. Sie sind aufeinander losgegangen wie die Hunde. Und dann kursieren diese Geschichten über Robiglio, und sein Verhalten uns gegenüber gefällt mir auch nicht. Und als Maresciallo Guarnaccia hier sich mit Morettis Schwester unterhalten hat –«
»Tina? Wie geht es dem armen Kind?« Die Bezeichnung schien angebracht, trotz Tinas Alter.
»Sie ist halb verrückt, meint Guarnaccia, und allem Anschein nach behandelt ihr Ehemann sie auch nicht sonderlich gut.«
»Armes Ding. Wie ihre Mutter. Und sie hat Ihnen von Robiglio erzählt?«
»Nicht direkt. Ich hatte schon Dinge gehört. Außerdem waren Tinas Äußerungen zu verworren, um viel auszusagen, aber es klang so, als hätte Morettis Familie etwas mit Robiglios dunkler Vergangenheit zu tun, und da Sie damals hier waren …«
»Ich war hier.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und überlegte schweigend ein Weilchen. Dann stand er auf und ging ans offene Fenster hinüber. Mit dem Rücken zu ihnen sagte er: »Das waren schreckliche Jahre. Ich sage nicht, daß wir sie vergessen sollten, aber ich bin auch nicht dafür, alten Haß lebendig zu halten. Wir müssen vorwärts schauen, nicht zurück. Sind Sie sicher, daß dies alles etwas mit dem ermordeten Mädchen zu tun hat?«
»Nein. Sicher sind wir uns über gar nichts.«
»Was könnte sie mit Dingen zu tun haben, die vor ihrer Geburt passiert sind?«
»Ich weiß es nicht. Ich sage Ihnen ganz offen, ich weiß es nicht. Aber ich weiß, daß Robiglio unbedingt gewählt werden will. Man sagt, daß er es auf den Bürgermeisterposten abgesehen hat.«
»Das habe ich gehört.«
»Und, sind Sie damit einverstanden?«
»Nein. Aber es ist lange her, daß ich mich in Politik habe hineinziehen lassen. Als Bürgermeister ist er vielleicht auch nicht schlechter als irgendein anderer.«
»Vielleicht nicht. Aber eines steht fest, er möchte um jeden Preis verhindern, daß seine Rolle während des Krieges gerade jetzt an die große Glocke gehängt wird.«
»Nein, und ich bin der letzte, der das tun würde, aus einer Reihe von Gründen nicht, wobei nicht der unerheblichste der ist, daß er damals kaum mehr als ein Junge war.«
»Ich verstehe. Aber wir veranstalten keine Hexenjagd, wir untersuchen einen Mordfall. Was immer Sie uns sagen, kann unter uns bleiben, es sei denn, Robiglio entpuppt sich als der Mörder, und in dem Fall dürften die Wahlen kaum sein dringendstes Problem sein, wobei ich dann meine Zweifel hätte, daß es überhaupt dazu kommt.«
Der Doktor blieb am Fenster stehen und blickte hinaus auf den Brunnen. Endlich drehte er sich um und sagte: »Ich will nicht behaupten, Sie sind auf dem Holzweg, wenn Sie glauben, die Morettis hätten etwas mit Robiglio zu tun, aber daß ein junges Mädchen dadurch zu Tode kommt – meinen Sie denn, sie hätte etwas herausbekommen?«
»Könnte sein.«
»AberwassollteeineAusländerinmitsolchen Informationen anfangen?«
»Das kann ich auch nicht sagen, da wir die Geschichte nicht kennen.«
»Dann glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß es kaum mit den Geschehnissen während des Krieges zusammenhängen kann, wenn dieses Mädchen zu einer solchen Gefahr geworden ist. Es müßte schon etwas aus der jüngeren Vergangenheit sein, etwas direkt Bedrohliches.«
»Das meint Guarnaccia auch, aber soweit ich weiß, hat Moretti heute nichts mit Robiglio zu tun. Sie machen nicht einmal Geschäfte miteinander.«
»Er hat Geschäfte mit ihm gemacht. Er hat einmal ein Stück Land von ihm gekauft.«
Der Maresciallo, der bisher schweigend zugehört hatte, sagte ruhig: »Vielleicht könnten Sie ihm die Briefe
Weitere Kostenlose Bücher