Tod in Innsbruck
durch die Wohnung. Sie musste mit jemandem sprechen.
Anna war nicht da, also rief sie kurzerhand Jochen an und erzählte ihm von Isas Tagebuch und von ihrer Konfrontation mit Sofronsky.
»Er hat versprochen, sich selbst anzuzeigen«, sagte sie nicht ohne Stolz und wollte hinzufügen: Ich habe es geschafft!
»Und das glaubst du ihm?« Skepsis klang in Jochens Worten auf.
»Schon. Wir hatten ein ziemlich gutes Gespräch.«
»Überleg doch. Damit wäre er ruiniert. Er würde nicht nur seinen Job verlieren, sondern auch nirgendwo anders mehr einen bekommen. Er müsste wegziehen, weit weg.«
»Mag sein. Aber wenn ich ihn anzeige, sieht es noch schlechter für ihn aus.« Veras Euphorie fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
»Hast du denn einen Beweis?«
»Einen handfesten noch nicht. Aber ich weiß von einem weiteren Missbrauchsopfer. Ich muss nur ihre Adresse herausfinden.«
»Mädchen, Mädchen, manchmal bist du ganz schön naiv. Du hast noch nicht mit ihr gesprochen? Woher willst du wissen, ob sie gegen Sofronsky aussagen möchte?«
Wut flammte auf. Vera ärgerte sich über ihren alten Freund, der ihr Erfolgsgefühl wegwischte wie einen Schmutzfleck. Noch mehr ärgerte sie sich über sich selbst und ihre Leichtgläubigkeit.
»Jetzt sei doch nicht so negativ!«
»Tut mir leid, dass ich dein Triumphgefühl nicht teilen kann. Aber ich würde drauf wetten, dass Sofronsky dich mit seinem Versprechen nur hinhalten möchte. Hinterrücks lacht er dich vermutlich aus.«
»Dann werde ich eben diese Xenia Dimitropoulos überzeugen. Sie lebt anscheinend in New York.«
»Viel Glück.« Jochen seufzte. »Zuerst musst du sie ja finden. Und dann … die Hemmschwelle ist sehr hoch in Fällen von Missbrauch. Die Scham, die überwunden werden muss …«
»Danke. Du verstehst es wirklich, einem Mut zu machen. Hast du sonst noch was Konstruktives zu bieten?«
»Sei mir nicht böse, Vera. Sag, hat dieser Sofronsky eigentlich eine Frau?«
»Oh ja. Und wenn ich mich nicht täusche, sogar eine Art Xanthippe.«
»Vielleicht kannst du mit ihr sprechen? Kann natürlich sein, dass sie längst Bescheid weiß und ihn deckt. Aber zumindest besteht eine winzige Chance, dass sie sich aus Wut und Enttäuschung mit dir verbündet.«
»Keine dumme Idee. Ist einen Versuch wert. Mit ihrer Hilfe könnte ich bestimmt leichter an die Adressen ehemaliger Schüler herankommen.«
»Toi, toi, toi, Liebes. Und pass auf dich auf. Vergiss nicht, wir brauchen dich noch für unseren großen Auftritt in Saalfelden.«
»Mir passiert schon nichts. Bis bald.«
Wenig später schritt Vera auf die Villa der Sofronskys in der Falkstraße zu. Das Anwesen sah beeindruckender aus, als sie es in Erinnerung hatte. Das lag bestimmt am schönen Wetter und daran, dass sie sich diesmal nicht hinter die Regentonne ducken musste.
Auf ihr Klingeln öffnete eine zierliche junge Frau. Das schwarze Haar reichte ihr bis zum Po. Wenn Vera nicht gewusst hätte, dass Sofronsky kinderlos war, hätte sie geglaubt, seiner Tochter gegenüberzustehen. Oder Schneewittchen im cremefarbenen Designerkostüm.
»Ich kaufe nichts«, sagte Sonja Sofronsky anstelle einer Begrüßung und musterte Vera aus zusammengekniffenen Augen.
»Mein Name ist Vera Meyring. Ich wollte Sie um ein kurzes Gespräch bitten.«
Kein Muskel regte sich in dem blassen Gesicht. »Ich habe wenig Zeit. Worum geht es?« Unverrückbar blieb Schneewittchen im Türrahmen stehen und dachte nicht daran, Vera ins Haus zu bitten.
»Um Isabel Meyring, meine Schwester. Und um Ihren Mann.«
»Mein herzliches Beileid. Ich habe vom Tod Ihrer Schwester gehört. Magersucht, wie schrecklich.« Schneewittchens Worte klangen wie aus Blech gestanzt. Ihre Augen funkelten kalt. Spöttisch.
Obwohl eine innere Stimme sie zur Vorsicht rief, war es um Veras Beherrschung geschehen. »Mein Beileid auch an Sie«, sprudelte es aus ihr heraus. »Das Wissen, dass der eigene Mann Schülerinnen missbraucht, muss schrecklich sein. Oder gehören Sie zur Spezies der ahnungslosen Ehefrauen?«
Sonja Sofronsky lachte affektiert auf. »Mein Mann ist ein berühmter Pianist und sehr umschwärmt. Er kann sich kaum wehren vor Verehrerinnen. Und zugegeben, nicht alle stößt er von der Bettkante. Aber Missbrauch? Das ist ja lächerlich!« Sie schüttelte ihr Haar, dass es wie ein schwarzer Schleier aufflog, ehe es sich wieder an ihren Rücken schmiegte.
»Es geht nicht um irgendwelche Affären, sondern um seine Vorliebe für minderjährige
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